Über Sex reden - Nr. 2
Wie reden wir über Sex und beim Sex? Auch in Teil 2 plaudern Ulla und Lukas aus dem Nähkästchen.
Über Sex reden 2
In der letzten Ausgabe haben Lukas und ich (Ulla) angefangen, zu erzählen, wie wir beim Sex mit unseren Partner*innen reden. Dabei geht es viel darum, zu sagen, was ich will, zu fragen, was du willst usw.
In unserer Erfahrung ist das total wichtig und macht Sex tendenziell besser, aber oft wird Kommunikation beim Sex unserer Meinung nach dennoch ganz schön vereinfacht dargestellt. Warum?
Lukas:
Ich frage mich: Funktioniert Kommunikation über und beim Sex immer? Wenn wir einfach über alles reden, wird dann alles gut?
Mir fällt als erstes der Text „Dirty Talk“ von Rona Torenz in der „Phase2“ Nr. 54 ein, in dem es unter anderem heißt: „Menschen handeln sozial erwünscht. So zu tun als hätten wir alle dieselbe Voraussetzung zum Ja oder Nein sagen, verschleiert das. Menschen können zu schüchtern sein […] wollen nicht verletzen, die Person nicht verlieren, sie wollen sich rollenkonform verhalten, […] oder sind ambivalent und wollen das nicht zugeben.“
Zum Äußern von (konkreten) Wünschen heißt es weiter: „Bei vielen Menschen existieren darüber Unsicherheiten, auch in dem konkreten Moment. Sie haben Widersprüche mit dem eigenen Selbstbild, wissen nicht, ob ihr Wunsch legitim, zu viel verlangt oder zu langweilig ist. Und nicht zuletzt wollen Menschen bestimmte Dinge vielleicht einfach nicht preisgeben.“
Zum Beispiel war ich in der Zeit, in der wir enorm viel an der 1. Magazin Ausgabe gearbeitet haben und ich gleichzeitig lohnarbeiten musste, sehr in meinem Kopf unterwegs und die Wahrnehmung meiner Körpergefühle beschränkte sich auf Aufgeregtheit und vor allem Erschöpfung.
Mir kommt es so vor, als ob alle meine Kapazitäten, um in Beziehung zu Menschen zu treten, also mich auf andere einzulassen und mich zu zeigen, belegt und ausgelastet waren. Durch mein Ausgelastet sein hatte ich umso mehr eine Sehnsucht nach Nähe und Sexualität, was Sexualität in dem Fall ein bisschen überladen hat. In den konkreten Situationen war ich mit Sexualität aber überfordert und sehr unsicher. Das ging so 1-2 Monate lang und ich hatte deswegen auch Sorge meiner neuen Liebesbeziehung nicht gerecht zu werden und ihr das Gefühl zu geben nicht nahbar zu sein und kein richtiges sexuelles Interesse an ihr zu haben. Durch empathische und offene Gespräche mit meiner Partnerin war das dann für sie kein Problem, mich hat es trotzdem gestresst. Ich hatte Bilder und Ansprüche an mich (und an meine Partnerin) im Kopf, wie es richtig ist, neu und frisch in einer Beziehung zu sein und auch Sex zu haben. Ich weiß, dass das ein Leistungsgedanke ist, aber ich wollte nicht der sein, der die Beziehung „belastet“. Es war zusätzlich herausfordernd, diese Gespräche zu führen, weil ich so erschöpft war und wenig Zugang zu mir selber hatte. Ich konnte nur noch schwer trennen zwischen (eigenen) Ansprüchen und Bildern und dem, was da vielleicht doch an eigenen Lustgefühlen rumspringt. Das alles hat es für mich nicht einfach gemacht, über Sex zu reden, zu wissen und zu sagen, ob ich gerade Sex möchte oder nicht und wenn ja, wie.
Ich will damit sagen, es braucht auch Zeit und Kapazitäten, um sich mit sich und anderen auseinandersetzen zu können und Gespräche über Sexualität zu führen. Zeit und Kapazitäten zu haben, ist auch eine Frage von Privilegien und Prioritäten – kann ich und will ich?
Was denkst du Ulla?
Ulla:
Ich erlebe Sex oft als krass überladen mit Vorstellungen, wie der sein sollte: Ich soll meine*n Partner*in sexuell befriedigen, dabei auch selbst ganz viel Spaß haben, zum Orgasmus kommen, genau wissen, was ich will und irgendwie „gut“ sein (was auch immer das heißt). Und dabei soll ich mich auch noch fallen lassen, ganz bei mir sein und nur das tun, was meinem momentanen sexuellen Begehren entspricht und komplett aus meinem Innersten völlig alleine hervorgebracht wird.
Naja, so ist mein Sex meist nicht. „Menschen wissen nicht immer – ich würde sogar sagen: nicht einmal meistens – was sie in sexuellen Situationen „genau“ wollen. Vielmehr ist Sex eine gemeinsame Koproduktion der Beteiligten. (…) Neue Erfahrungen schöpfen sich auch daraus, dass andere Beteiligte Dinge tun, auf die man eventuell selbst gar nicht gekommen wäre, die man aber toll oder eben nicht so toll findet.“[1] schreibt Rona Torenz – ja, ich hab sie auch als erstes im Kopf gehabt - im Buch Ja heißt Ja? Das entspricht eher meiner Realität. Außerdem gehen beim Sex in mir verschiedene Dinge vor:
Zum Beispiel habe ich ganz unterschiedliches Wollen beim Sex: Klar, ich will selber Spaß haben, befriedigt werden. Aber es geht mir ja nicht allein um einen Orgasmus (dann habe ich lieber Solo-Sex, da fällt es mir leichter, ganz bei mir zu bleiben). Es geht mir auch um Verbindung und Nähe und etwas Geteiltes. Deshalb will ich, dass auch meinen Partner*innen gefällt, was wir hier teilen. Auch das macht Sprechen über Sex schwieriger. Ich verbinde viele Unsicherheiten damit z.B. „Wenn ich jetzt sage, ich mag XY, fühlt sich die Person dann davon überfordert? Macht sie etwas, was sie vielleicht gar nicht will, um es mir recht zu machen?“ oder ich versuche vorwegzunehmen, was meinem Gegenüber wohl gefallen könnte und gebe es als meinen eigenen Wunsch aus: „Magst du Oralsex? Ich mach das total gern!“, weil ich möchte, dass mein Gegenüber Gefallen am Sex mit mir findet.
Und neben diesem schönen Wollen – wir haben gemeinsam Spaß – gibt es auch eines, dass eher aus Unsicherheit heraus kommt: Beziehungen sind mit Macht durchzogen und besonders in denen, in denen ich mich unsicher fühle, bin ich oft nicht nur bei meinem sexuellen Wollen. Zum Beispiel ist mein größtes Bedürfnis in einem Moment, mein Gegenüber nicht zu verlieren. Und damit das nicht passiert, bin ich bereit in allen möglichen anderen Bereichen zurückzustecken. Also beispielsweise beim Sex die Lust und das Begehren meines Gegenübers über mein eigenes zu stellen.
Da wird das Reden über Sex dann doch ziemlich komplex. Denn hier ehrlich zu sagen, was ich will, wäre verstörend oder mindestens ungewöhnlich: „Dich glücklich machen“ hört sich ja scheiße an. „Spaß haben, aber nur, wenn dir das auch gefällt“, hm. „Eigentlich weiß ich gar nicht, ob ich gerade Sex will, aber dich zurückweisen traue ich mich auch nicht“. Ehrlichkeit ist halt nicht immer sexy und im Zweifelsfall auch wirklich nicht leicht auszusprechen.
Über Sex reden ist definitiv eine ziemlich komplexe Angelegenheit. Ohne Reden und ohne Konsens geht natürlich gar nicht! Aber so tun, als würde dann alles ganz einfach, stimmt eben auch nicht. Einen Gedanken von Rona Torenz fand ich dazu total erhellend:
„Problematisch ist (…) auch, dass so getan wird, als sei Konsens ein Garant für guten Sex. (…) Das Zustimmungskonzept vermittelt dadurch tendenziell das Bild, dass Sex, der keinen Spaß macht oder nicht gut ist, nicht einvernehmlich sei. Und dass dieser Sex dann durch ein Nein gestoppt und gar nicht stattfinden soll. Das korrespondiert auf problematische Weise mit gesellschaftlichen Vorstellungen von Leistungssex – unser Sexualleben muss immer spaßig, lustvoll und befriedigend sein. Einvernehmlichkeit ist zwar ohne Frage eine Voraussetzung für Sex, den die Beteiligten gut finden – aber einvernehmlicher Sex kann trotzdem keinen Spaß machen, langweilig sein oder sich einfach unschön anfühlen. Wir alle haben auch mal schlechten Sex – und das muss nichts mit fehlender Einvernehmlichkeit zu tun haben. Diese Erkenntnis als Teil des Zustimmungskonzepts zu begreifen und damit auch ein Stück weit den Druck zu nehmen, dass Sex am Ende immer ein Erfolg, im Sinne von befriedigend, sein muss, halte ich daher für eine sinnvolle Ergänzung.“[2]
[1] Rona Torenz (2019): Ja heißt Ja? – Feministische Debatten um einvernehmlichen Sex, Schmetterling Verlag, S. 121
[2] ebed. S. 122