Editorial 1
Das Editorial 1
Liebe Leser*innen,
hier haltet ihr die zweite Ausgabe des Boykott-Magazins in den Händen. Wie immer hat dann alles doch länger gedauert und ist auch ganz anders geworden als gedacht. Eigentlich hätte diese Ausgabe einen anderen Titel tragen sollen. Tja, daraus wurde nichts. Der Titel „Scheitern“ hat sich uns quasi aufgedrängt. Als wir nach und nach die Texte für diese Ausgabe zusammengesammelt haben, hat sich gezeigt, dass nahezu alle Autor*innen mit dem Thema Scheitern beschäftigt sind. Und das mit ganz unterschiedlichen Blickwinkeln. Woran scheitern wir? Daran ein wirklich „cooler, feministischer Vater“ zu sein beispielsweise, schreibt Sebastian Thrul in „Bye-bye, Daddy Cool!“ Aber ist der Anspruch, immer alles richtig zu machen und unter Kontrolle zu haben nicht ein genuin männlicher und ein Scheitern daran auch ein Scheitern von Männlichkeit?
Wir selbst sind an unserem Anspruch gescheitert, aufmerksam mit Pronomen umzugehen und haben eine*n Autor*in in Ausgabe 1 (1.Auflage) misgendert. Entschuldigung nochmal! (Mehr dazu im Text „Korrektur! Misgendern im Magazin“)
Anderen Autor*innen geht es ganz explizit darum, das Scheitern zu organisieren, wie Mart Busche und Olaf Stuve schreiben, und zwar das Scheitern hegemonialer Männlichkeit. Außerdem berichten die beiden ehemaligen Redakteur*innen der Tuntentinte im Interview von ihren Visionen und Utopien und dem Scheitern an den eigenen Ansprüchen.
Obwohl wir für diese Ausgabe länger gebraucht haben als wir uns vorgenommen hatten, fehlen uns Texte, die wir hier gerne abgedruckt hätten. Außerdem ist uns aufgefallen, dass es schwierig ist, Texte zu bekommen, die Verletzbarkeit und Verunsicherung von cis Männern aufzeigen. Es geht uns dabei ganz sicher nicht darum, cis Männer als die Verlierer im Patriarchat zu markieren, denn das sind sie nicht. Vielmehr geht es uns darum, dass cis Männer sich zeigen, mit all ihren Ängsten und Abgründen. Wir wollen daran lernen und gemeinsam neue Wege finden den Panzer von Männlichkeit und Patriarchat endlich abzuschütteln.
Erfolgreiches Mann-sein wird auch in (pro)feministischen Szenen erzählt. Viele Texte, die wir bekommen, sind Erzählungen der Überwindung von „schlechten“ Männlichkeitsmustern. Erfolgsstorys. Seid ihr wirklich alle schon so weit? Wo sind die Texte, in denen cis Männer ihr Scheitern am feministischen Anspruch aufzeigen? Wo sie eben doch mitmachen oder zu Komplizen des Patriarchats werden? Wo sie ambivalent sind und in Zwickmühlen stecken? Wir wollen nicht nur (glattgebügelte) Berichte, wie es sein sollte. Sagt uns lieber, wofür ihr euch schämt und woran ihr knabbert. Dies ist ein Aufruf zum Schreiben. Gebt uns einen Text, den wir fühlen können!
Wir haben uns entschlossen die Ausgabe nach dem zu benennen, was scheinbar oben aufliegt, wenn es um Männlichkeit geht – dem Scheitern. Wir hoffen mit den verschiedenen Artikeln einen liebevollen Blick auf unsere fehlbaren, weiterhin stolpernden Gehversuche hin zu anderen Geschlechterverhältnissen zu werfen.
Eure BOYkott Redaktion,
Ulla und Lukas