Ein patriarchales Duo? Freundschaft und Männlichkeit

(Wie) ist Männerfreundschaft abseits des Patriarchats zu denken? (Wie) ist ein echtes menschliches Verhältnis zwischen Männern möglich?

Tabs Gehrman

Erschienen in: Ausgabe 01-2021
Rubriken: Beziehungen

Ein Artikel über Freundschaft in einem Männermagazin? Die erste Reaktion ist möglicherweise ein besorgtes Stirnrunzeln. Denn egal ob in Zeitschriften der kruden Männerszene, im linksradikalen Fanblock oder beim WG-Abend: Männlichkeit und Freundschaft können sich schnell zu einem patriarchalen Duo verknüpfen. Auch wenn man sich von Heteronormativität und Frauenfeindlichkeit abgrenzt, Männlichkeiten prägen unsere Freundschaften. Was die eigene Männlichkeit ist und welche Rolle sie in Freundschaften spielt, hängt dabei aber vom Kontext ab: Es kommt eben darauf an, welche Männlichkeit wir im Kontakt mit Freund*innen (gegenseitig) produzieren und welche Umgangsweisen mit Männlichkeit wir gleichzeitig verhindern. Und genau dieser Aspekt ist an dieser Stelle ein paar Zeilen mehr wert: Männlichkeit entsteht und vergeht auch in Freundschaften.1

Auch in feministischen Kreisen – präziser gesagt in solchen, die sich so verstehen – können Männlichkeit und Freundschaft als patriarchales Duo auftreten. Während mir Freundinnen immer wieder davon erzählen, dass Männer ihnen bis zum Überdruss von ihren Problemen und Schwierigkeiten berichten, sind die ersten Themen, wenn mir die gleichen Männer begegnen, oft die neuesten Sportergebnisse oder die Dramatik in der Auszählung zur letzten US-Wahl. Da heißt es, „ich kann doch gut über Gefühle reden, mit vielen meiner Freundinnen“, aber wenn man sich dann wieder unter männlichen Freunden trifft, ist das Schweigen über die eigene emotionale Verfassung groß. Dann steigt eine seltsame Spannung auf und verwandelt den Kontakt in ein Produktionsverhältnis von Männlichkeitsanforderungen. Das Gegenüber wird zur Prüfung der eigenen Männlichkeit. Die offen patriarchalen Männer bestehen diese Prüfung durch verbalisierte und praktizierte Homo- und Frauenfeindlichkeit. Bei „feministischen“ Männern läuft das meistens anders ab. Da besteht die Prüfung genau darin, Gefühle zu offenbaren, ohne das Gegenüber mit der eigenen Schwäche und Unsicherheit zu sehr zu belasten; ohne den Eindruck zu erwecken, das Phantasma der Autonomie könnte bröckeln. Stärke, Erfolg, Selbstsicherheit, Coolness, Unabhängigkeit bleiben auch hier die nötigen Attribute.

Wer aus diesem Modus ausschert, riskiert die eigene Männlichkeit und soweit gehen dann doch die Wenigsten. Auf der einen Seite wird dies dadurch bedingt, überhaupt nicht erst ausscheren zu können, weil dafür die Kommunikationsweise fehlt. Ich habe schlicht keine Empfindungsweise für bestimmte emotionale Konstellationen gelernt und kann sie erst recht nicht verbalisieren. So banal es ist, immer wieder darauf hin zu weisen, aber wer von den männlichen Lesenden kennt einen Vater, der offen über die eigenen Gefühle spricht, der kommunikativ an einer emotionalen Vertiefung und Vertraulichkeit im Vater-Sohn-Verhältnis arbeitet? Auf der anderen Seite kommt das (wahrgenommene) Geschlecht des Gegenübers zum Tragen: Männer wurden in den allermeisten Fällen seit ihrer Kindheit nicht zur Fürsorge fähig erlebt, insofern werden sie auch nicht als sich emotional kümmernde Personen adressiert. Wer wäre schon so blöd nach dreißig Jahren immer noch auf die wohlmeinende und tröstende Einfühlung des Mannes zu warten, die es auch vorher nie gab. Wieso also sich in der Freundschaft mit Männern dem Risiko des Abblitzens und dem sich wiederholenden Gefühl der Einsamkeit aussetzen? Wo es doch die Freund*innen gibt, die zuhören und so viel bessere Nachfragen stellen können, so viel aktiver, interessierter und fürsorglicher Lauschen?

Irgendwann im Laufe der Pubertät habe ich gelernt, dass männlich zu sein mit zwei Gefühlen einhergeht, die nicht selbstverständlich damit verbunden werden: Angst und Scham. Männern zu begegnen, bedeutet, mich für das zu schämen, was in mir selbst den üblichen Männlichkeitsanforderungen nicht entspricht; und Angst davor zu haben, dass dies auffliegt. Das ist die Geschlechterprüfung, die in beinahe jeder Alltagssituation auftritt und die wir auch in unsere Freundschaften mitnehmen, ob wir wollen oder nicht. Die eigene Überforderung, das Unvermögen, das Defizitäre, das Hilfsbedürftige: Diese Gefühle prallen oftmals an der eigenen Scham ab und verbleiben im Innenleben. So erhalte ich nach außen hin die männliche Hülle aufrecht. Das ist eine schützende Maskerade, diese Konformität kann eine gewisse Selbstsicherheit geben. Ich weiß nicht, ob es meinen Freunden auch so geht. Habe ich denselben Effekt auf sie?

Wenn ich nachfrage, wie es meinen männlichen Freunden geht, wenn ich bei ihnen nicht locker lassen will, damit sie mir von ihren Selbstzweifeln und Unsicherheiten erzählen, damit sie nicht nur Entschlüssen, Urteilen und Fakten sondern all dem Unfertigen, Prozesshaften und Verworrenen Ausdruck geben können, dann öffnet das nicht unbedingt Türen. Es ist anscheinend nicht so, dass wir uns einfach nur mehr fragen müssten, um das nötige Zutrauen zu bekommen, auch offen zu reden. Solche Fragen können auch stören. Die Fragen zeigen meine Verletzlichkeit, stoßen mich auf meine Schwächen und Unsicherheiten, auf meine Überforderungen. Sie konfrontieren mich mit dem durch Männlichkeit Verdrängten. Auch wenn in dessen Wiedergewinn ein befreiendes Potenzial liegt, macht diese Konfrontation zunächst Angst und erzeugt Druck. Den Raum zu bekommen, Schwäche zu zeigen, ist nicht nur ein Geschenk. Quasi automatisch weiche ich dann aus, beschwichtige, gebe Antworten, die keine Antworten sind. Geht es den anderen auch so, wenn ich frage und frage und nochmal anders frage und dann noch einmal neu frage und doch nichts heraus kommt? Gut, es muss ja nicht immer reden sein, manches lässt sich ohne Worte besser ausdrücken, klarer fühlen. Kommunikation hat viele Ebenen.

Doch auch elementare Formen körperlicher Fürsorge gehören nicht zum Repertoire der klassischen (heterosexuellen) Männlichkeit. Ich kann mich nicht erinnern, dass mich jemals ein Mann gefragt hat, ob ich in den Arm genommen werden will. Und bin ich da selbst denn anders? Trösten und anforderungsloses Daseinkönnen habe ich nur gelernt zu benötigen und zu empfangen, nicht aber einem anderen Mann zu geben. Ich will das auch nicht erfragen, denn es könnte alles kaputt machen. Es würde die andere Person überfordern, wir würden beide merken, dass wir das nicht können und wir würden uns implizit gegenseitig vorwerfen, dass diese Leerstelle offen gelegt wurde. Denn es passt schon, es muss schon gehen, es wird schon irgendwie wieder werden, Kopf hoch und du kommst da durch. In Freundschaften zwischen Männern wird nicht die Erfüllung von Sorge- und Pflegebedürfnissen erwartet. Diese bleiben gemäß der heterosexuellen Projektion an den Frauen haften, egal ob Partnerinnen oder Freundinnen. Erschwerend kommt hinzu, dass es scheinbar zu diesen Freundschaften dazu gehört, sich nicht selbst zu thematisieren. Die Konfrontation mit sich selbst als Freundschaft ist ein Affront, eine Zumutung. Die männliche Freundschaft sollte doch das Refugium sein, wo geschwiegen wird, wenn es zu kompliziert wird, wenn es zu tief geht. Entweder es passt einfach oder es passt einfach nicht. So einfach. Und wenn es nicht passt, wird sich zurück gezogen und gewartet und beim nächsten Mal geht es von vorne los.

Was wollen wir eigentlich für Freundschaften führen? Aus einer feministischen Perspektive müssen wir uns fragen, welche Männlichkeiten wir darin produzieren wollen und in welchen Aspekten wir uns verunsichern möchten. Ich habe Jahre gebraucht, damit anzufangen, diese Muster zu durchbrechen und die damit verbundene Scham und Beschämung zu riskieren. Viele sind es nicht, die dafür offen sind und bleiben, und zwar nicht aus freundschaftlichem Pflichtbewusstsein sondern aus Eigeninteresse. In meiner Erfahrung helfen dafür Kleinigkeiten. Beispielsweise zu merken, dass auch die andere Person versucht, sich zu öffnen. Eine Nachfrage zu stellen, anstatt bloß einen eigenen Kommentar zu geben. Das Beitragen einer eigenen Erfahrung, ein sich gegenseitiges Öffnen. Empathie. Ein aktives Erzeugen und Festhalten von Momenten, die mit den eingefahrenen Männlichkeitsmustern brechen. In einer Welt, in der die Abweichung von Männlichkeitsanforderungen mit Abwertung und Selbstgefährdung verbunden ist, braucht es gerade in Freundschaften eine aktive und solidarische Bestärkung zur Nicht-Konformität. Und das ist natürlich kein reines Männerding. Männlichkeitsanforderungen begegnen uns von allen und überall. Ob im Plenum, im Bett, auf der Arbeit oder sonst wo sind es auch Frauen, die Männlichkeitsanforderungen stellen. Unter Maßgabe der Heteronormativität sind es nicht nur Männer, die Angst vor von der Norm abweichenden Männlichkeiten haben und darauf mit Ausgrenzung reagieren. Die eigene Scham und Angst des Abweichens kommt nicht nur in Begegnungen mit Männern zum Tragen, sondern führt auch Frauen gegenüber zu Unsicherheit.

Sich gegenseitig die Gewissheit zu geben, dass Freundschaften Abweichung von Männlichkeitsanforderungen nicht einfach nur aushalten sollen, sondern im Gegenteil durch diese profitieren können; sich jenes ‚weibliche‘ Terrain zu erschließen, das Fürsorge, Trost, und anforderungslose Akzeptanz umschließt; sich gemeinsam darüber bewusst zu werden, welche Formen von Männlichkeit einer Vertiefung der gemeinsamen Freundschaft im Wege stehen können - das wären kleine Schritte auf dem Weg dahin, ‚Männerfreundschaft‘ als patriarchales Duo in Richtung eines echten menschlichen Verhältnisses hinter sich zu lassen. Denn die Emanzipation, die in der Bewusstmachung und im Boykott von Männlichkeitsanforderungen liegt, führt so lange zu individueller Einsamkeit, so lange sie nicht geteilt erfahrbar ist. Freundschaften können ein Ort unserer Leben sein, in denen wir dieser Emanzipation eine Resonanz geben.

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Dieser Artikel geht von meinen Erfahrungen mit (zumeist heterosexuellen) cis Männern aus, die daher auch gemeint sind, wo ich die Begriffe Männer und Männlichkeit benutze. Gleichermaßen steht es um den hier verwendeten Begriff Frau.

Tabs Gehrman beschäftigt sich in historisch-politischer Bildungsarbeit mit dem Nationalsozialismus und der Geschichte und Gegenwart von Geschlechterverhältnissen, Feminismus und Männlichkeitskritik. Sein täglich Brot verdient er in einem kollektiv organisierten Lebensmittelgeschäft.