Ist M*RT profeministisch? - Erfahrungen aus der autonomen Therapiegruppe
Der Autor beschreibt seine Erfahrungen in einer MRT (Männer Radikale Therapie) Gruppe und der Auseinandersetzung mit Männlichkeit darin.
Ist M*RT profeministisch? – Erfahrungen aus der autonomen Therapiegruppe
Seit zwei Jahren bin ich Teil einer autonomen Männer*Therapie Gruppe, einer sogenannten M*RT-Gruppe. M*RT steht für „Männer* organisieren Radikale Therapie“. Ich möchte euch gerne daran teilhaben lassen – wie ich zu so einer Gruppe gekommen bin, was mich dabei bewegt hat. Ich verstehe mich selbst als profeministisch und habe mich gefragt ob M*RT einen Beitrag dazu leisten kann, feministische Forderungen zu unterstützen und das Patriarchat abzuschaffen, beziehungsweise - wie der Name sagt – radikale Veränderungen herbeizuführen.
Getrieben wurde ich von Neugier und Sehnsucht nach Austausch über verschiedene Themen. Ich war auf der Suche nach einem Rahmen, in dem ich mich kritisch mit meiner männlichen Sozialisation beschäftigen kann. Wenn ich an meine Motivation für die Teilnahme zurückdenke, erinnere ich mich auch an einen Wunsch nach Intimität in Beziehungen. Intimität, die mir in vielen Lebenssituationen und in Beziehung zu Menschen oft gefehlt hat und oft immer noch fehlt. Mit Intimität meine ich zwar auch verschiedene Formen von körperlicher Nähe, aber auch Zeiten miteinander zu teilen, in denen mensch sich von den Seiten, die einen umtreiben und berühren – mit Ängsten und Sehnsüchten - zeigen und diese beim Gegenüber wahrnehmen kann.
Angesprochen hat mich an M*RT die Verbindlichkeit – jede Woche und mindestens ein Jahr lang regelmäßige Treffen schienen mir einen Raum zu bieten, um sich aufeinander einzulassen, Vertrauen aufzubauen und miteinander und aneinander zu arbeiten. Zudem war M*RT aufgrund seiner Verbindungen in die antisexistische Männergruppenszene, insbesondere der 80er und 90er Jahre, interessant für mich - eine Szene, die mittlerweile vom Erdboden verschluckt zu sein schien.
Über einen Bekannten, der vor längerer Zeit schon mal M*RT praktiziert hat, habe ich von dem Konzept[1] mitbekommen und erfahren, dass es weiterhin aktive M*RT-Gruppen gibt. Mit ein paar anderen Menschen habe ich mich informiert wie eine Gruppe gestartet werden kann. In der Regel läuft das so: Es geht los mit einer Infoveranstaltungen angeleitet durch Menschen aus einem so genannten Starterkollektiv. Auch wir haben Menschen aus dem Starterkollektiv[2] und M*RT-Interessierte eingeladen.
Der Anfang
Der Raum ist voll – alle mehr oder weniger aus der links-alternativen-Bubble. Die beiden Anleitenden sind zwei cis Männer um die 50, die schon lange M*RT praktizieren. Die beiden berichten aus ihren Erfahrungen, wie eine M*RT Gruppe aufgebaut werden kann und was dabei wichtig ist und leiten Übungen an, in denen ein Eindruck der M*RT-Praxis vermittelt wird. In der Blitzlichtrunde zu Beginn können alle kurz erzählen wie es ihnen geht. Es wird klar wie aufgeregt viele sind - das ausgesprochen zu hören tut gut und nimmt mir meine eigene Aufregung ein Stück weit. Aufgeregt scheinen auch die Anleitenden, die Händchen haltend dort sitzen, etwas schüchtern sind und sich liebevoll gegenseitig die Bälle beim Reden zuwerfen. Für mich ein total ungewöhnlicher und berührender Anblick.
Einige Monate nach dieser Veranstaltung startet die Gruppe. Wir sind 12 Personen, alle männlich sozialisiert und gelesen – jedoch teils in Auseinandersetzung mit der eigenen Verortung als Mann. Die Gruppe ist prinzipiell offen für Menschen, die trans* oder nicht-binär sind und in einem (cis-)männlich geprägten Raum lernen wollen. Ich frage mich aber, ob die Hürde für Menschen die sich nicht cis-geschlechtlich verorten sehr hoch ist und andere Räume als passender empfunden werden?[3]
Berührt werden
Gerade die Anfangszeit ist für mich sehr intensiv. Es gibt viel Raum dafür sich auszuprobieren, persönliche Themen zu bearbeiten, aber auch Austauschformate für die gesamte Gruppe zu initiieren. Es entstehen Reibung und Konflikte: Gefühle von Eifersucht auf Freundschaften, die entstehen, Neid, wenn es anderen scheinbar leichter fällt sich auszudrücken in dem, was sie bewegt und Sich-Vergleichen. Oft ist es für mich sehr aufwühlend, Aushandlungen, die ich sonst eher aussitzen würde, zu führen und aus meiner Komfortzone heraus zu gehen. Oft fehlen zu den Gefühlen die Worte, um mich auszudrücken und ich werde sprachlos. Dann hilft es meine Aufmerksamkeit darauf zu lenken, was gerade in meinem Körper passiert. Vielleicht bin ich gerade angespannt, unruhig oder komme ins Schwitzen und kann darüber einen Zugang zu dem finden, was bei mir los ist. Für mich ist es immer wieder total wertvoll, dort Raum zu haben – ein noch diffuses Gefühl auszudrücken, sich damit den Anderen gegenüber greifbar zu machen und sich so auszutauschen.
Ich lerne die Anderen kennen und schätzen. Dies auch gegenseitig zum Ausdruck zu bringen – sich aufeinander zu beziehen – fühlt sich oft erschreckend ungewohnt an und ich merke wie schwer es mir fällt, Wertschätzung zu bekommen und anzunehmen. Besonders spannend war für mich in diesem Kontext auszuprobieren, welche Art der Körperlichkeit mir gut tut. Ich mag es Händchen haltend nebeneinander zu sitzen, danach zu Fragen im Arm gehalten zu werden oder sich in einem schwierigen Moment bei jemandem anzukuscheln.
Mit der Gruppe bin ich gewachsen und lerne dort Gefühle auszudrücken und empathisch zu sein. Die M*RT-Gruppe ist für mich zu einem Ort geworden, bei dem ich weiß, dass dort Dinge, die mich im Alltag beschäftigen, Raum finden können.
Mir gefällt an M*RT, dass es ein Männer*raum ist, in dem viel von dem was in anderen männlich geprägten Räumen, wie ich sie kennen gelernt habe, anders ist. Ich mag das hier eine Haltung des auf Sich-Achtens und kooperative Formen des Umgangs in den Vordergrund gestellt und eingeübt werden. Als Teilnehmender erfährt man sich als abhängig von der Unterstützung anderer, nach der man fragt, und kann sich vor den Anderen verletzlich zeigen und darin gesehen werden. Ich habe den Eindruck, dass M*RT ein Ort ist in dem mensch lernt, mehr Verständnis füreinander aufzubringen und somit auch auf Dominanz beruhendes Verhalten weniger wird.
Kritik an M*RT
Eine häufig geäußerte Kritik an Männergruppen ist die, dass in solchen Kontexten Männerbünde entstehen, also Orte an denen männliche Dominanz reproduziert wird und die durch Machtspiele und Kräftemessen gekennzeichnet sind[4]. Männerbünde wirken nach innen identitätsstiftend und stellen einen Ort dar, in dem männliches Verhalten eingeübt wird, zudem wirken sie nach außen ausschließend, da die Zugehörigkeit an ein Mann-Sein gebunden ist und eigene Privilegien nur untereinander geteilt werden.
Als solchen Männerbund habe ich M*RT zwar nicht kennen gelernt, dennoch sehe ich kritisch, dass im Rahmen der Gruppe auch eine (teils exklusive) Solidarität unter Männern entsteht. Während der Sitzungen und den Aktivitäten, die wir aus Gruppenpraxis heraus anstoßen, entstehen Räume, aus denen Menschen, die nicht männlich positioniert sind, meist ausgeschlossen sind. So führe ich auch viele für mich wichtige Aushandlungen mit cis Männern, bin mit deren Perspektiven intensiver konfrontiert und verbringe auch viel Freizeit mit Menschen aus der Gruppe. In diesem Kontext können leichter auch nahe Freundschaften unter (cis) Männern entstehen, was ich positiv bewerte. Jedoch sehe ich auch problematische Seiten: Ich gehe davon aus, dass Menschen, die sich als Männer verstehen oder als solche gelesen werden im Patriarchat Privilegien besitzen, also Vorteile gegenüber FLINTA[5] genießen, die sie selbst gar nicht wahrnehmen oder mehr oder weniger bewusst ausblenden. Die Gefahr, sich um eine cis-männliche Perspektive zu drehen und unsichtbare Privilegien zu verschleiern, sehe ich auch bei meiner M*RT -Praxis. M*RT ist also nicht notwendigerweise gleichstellungsfokussiert! Diese Form der Therapie hat auch problematische Seiten. Um diesen entgegen zu wirken, braucht es meiner Ansicht nach dringend einen Austausch mit FLINTA und eine Auseinandersetzung mit den Themen und Erfahrungen von Frauen und Queers.
M*RT ist für mich ein Raum, in dem ich mich ein Stück weit von Männlichkeitsanforderungen, die an mich gestellt werden, emanzipieren kann. Ich merke aber auch, dass es mir der Raum M*RT oft einfach macht – da dort abgesprochen und bewusst andere Regeln gelten als außerhalb des Settings. Ich finde es ziemlich herausfordernd, Haltungen, die ich dort lerne, und im Großen und Ganzen für sehr wertvoll halte, mit in den Alltag zu nehmen. Daran scheitere ich regelmäßig. Das betrifft sowohl meinen Anspruch, im Alltag eine wertschätzende und aufmerksame Kommunikation mit den Menschen um mich herum zu pflegen, als auch eine wohlwollende Haltung gegenüber mir selber einzunehmen und mich nicht durch Selbstzweifel handlungsunfähig zu machen (an denen wäre nämlich auch um ein Haar dieser Artikel gescheitert). Der Balanceakt ist für mich, sich vom Scheitern nicht entmutigen zu lassen und es gleichzeitig als gegeben hinzunehmen, dass ich weder mich selber komplett ändern kann noch durch Therapie das Patriarchat abschaffen kann.
Für mich ist meine M*RT Praxis ein sehr wertvoller Impuls für eine Haltung und Praxis, in der gute Beziehungen möglich werden. Es ist ein Versuch, bei mir selber anzufangen etwas zu verändern – auf die Suche zu gehen danach, wie wir selber hier und da in und auch außerhalb von Therapie sichere Räume zum Austausch mit anderen schaffen können, um sich über das zu verständigen, was uns Angst und Sorgen macht, wie das gute Leben aussehen kann und wie mensch am Patriarchat kratzen kann.
Ich möchte mich gerne herzlich bedanken für die tolle Unterstützung der Redaktion und der Lektorin, die mir ermöglicht haben meinen ersten Magazin-Artikel überhaupt zu schreiben. Außerdem möchte ich mich bedanken für das wertvolle Feedback und die Ermutigung von Freundinnen und Menschen aus meiner Therapiegruppe.*
[1] Infos zu Konzept und Geschichte von M*RT und Literatur zum Weiterlesen gibt es unter www.radikale-therapie.de
[2] Unter www.mrt-maennergruppen.de/kontakt.htm gibt es eine Übersicht an Kontaktpersonen für verschiedene Regionen in Deutschland.
[3] Ich würde mich sehr über Perspektiven dazu freuen!
[4] Weitere Kritikpunkte, die hier nicht aufgegriffen wurden, formuliert Cora (2013): Verunsicherte Männlichkeit - Männlichkeit Verunsichern. Zum Potential von Männer-Radikaler-Therapie. In: Binder, Beate (Hg.): Geschlecht –Sexualität. Erkundungen in Feldern politischer Praxis, Berliner Blätter Sonderheft; Nr.62/2013.
[5] kurz für Frauen, Lesben, Inter*, Non-Binary, Trans*, Agender