Erlebnisse mit Männern oder: Anekdoten aus dem Patriarchat
Was es heißt als Frau im Patriarchat zu leben.
Erlebnisse mit Männern oder:
Anekdoten aus dem Patriarchat.
Was es für mich bedeutet, in einer Männerwelt zu leben? Es bedeutet, vom Chef im Fahrstuhl als die neue Praktikantin begrüßt zu werden, obwohl du seit einem Jahr als politische Referentin arbeitest. Es bedeutet, sich zu überlegen, ob du durch den Park gehst, nichtmal aus Angst, sondern weil du müde bist und nicht die Energie hast, das ganze Angequatsche abzuwehren. Es bedeutet, dass du Flirten mit Vorsicht genießt, obwohl du gern flirtest. Weil es immer sein kann, dass der nice Blickkontakt in unangenehme Aufdringlichkeit umschlägt und du dich plötzlich wehren musst. Es bedeutet, dass dich dieser eine (und dieser andere) profeministische Guy komplett nicht wahrnimmt, weil er so damit beschäftigt ist, korrekt zu sein. Es bedeutet, für romantische, sexuelle, freundschaftliche Beziehungen Verantwortung zu übernehmen und Sicherheit zu produzieren – und vom Gegenüber Angst und Teilnahmslosigkeit zurückzubekommen. Es bedeutet, sich verletzlich zu machen und Abwehr zurückzubekommen. Es bedeutet, romantische Beziehungen und Freundschaften mit Männern zu beenden oder auslaufen lassen, obwohl du sie echt magst – weil du keine Lust mehr hast, immer den Kontakt herzustellen, die Beziehung alleine zu gestalten, darum zu kämpfen, anerkannt zu werden. Es bedeutet, mit deinen Freundinnen die Defizite aus diesen Beziehungen aufzufangen und so viel Energie da rein zu stecken, diese und viele weitere Verlust- und Entbehrungserfahrungen aufzuarbeiten. Es bedeutet, dass dir der Typ vom Online-Dating auf keinen Fall einen guten Musikgeschmack zutraut. Es bedeutet, dass du drei, vier, fünf Typen kennst (oder besser: das sind diejenigen, von denen du es weißt), die sexuell schon mal Scheiße mit Frauen gebaut haben und dass du dir überlegen musst, wie du damit umgehst, wenn du einen von ihnen auf Partys, in Kneipen, in Clubs triffst. Ob du andere informierst. Das heißt, dass du manchmal nüchterner bleibst als du willst. Um Situationen im Blick zu behalten. Es bedeutet, dass du mitkriegst, dass dieser eine Dude, der vor Jahren mal eine Bekannte in Stadt XY vergewaltigt hat, in deine Stadt zieht und du mit Freundinnen besprichst, wie ihr damit umgehen wollt. Es bedeutet, dass kein einziger Mann in seinem Umfeld unaufgefordert auf die Idee kommt, sich aktiv mit der Situation auseinanderzusetzen. Es bedeutet, eine Bekannte vor Gericht zu begleiten, die ihren Vergewaltiger angezeigt hat und erleben zu müssen, wie der Strafverteidiger sie als manipulatives Flittchen darstellt. Es bedeutet, dass ihr Sexualleben vor Gericht breit getreten wird und nicht das Verhalten des Täters. Es bedeutet, danach dem Vergewaltiger im Warteraum gegenüber zu sitzen und nichts tun zu können, was deiner fassungslosen Wut gerecht wird. Es bedeutet, dass du eine Kollegin unterstützt, als sie auf der Arbeit sexuell und psychisch von einem religiösen Würdenträger belästigt wird und euch die Chefetage zum Gespräch zitiert und erklärt, dass der Typ eben so flirtet. Es bedeutet, dass sie dann kündigt und du ein paar Monate später auch. Es bedeutet, dass dein Jobcenter-Sachbearbeiter dich privat anschreibt, sobald du einen Job hast, „weil man sich ja jetzt lockerer begegnen kann“. Es bedeutet, dass du eine Demo moderierst und laut wirst und dich hinterher Männer als hysterisch abstempeln. Es bedeutet, dass du Politgruppen aufgibst, die dir wichtig sind, weil du die Ignoranz dir und anderen gegenüber nicht mehr aushältst. Weil dein Körper rebelliert, wenn du noch einmal ein Plenum erleben musst, auf dem so unachtsam, erkenntnisresistent und selbstüberschätzend miteinander (gegeneinander?) gearbeitet wird.[1] Es bedeutet, dass Männer in deinem Umfeld völlig selbstverständlich patriarchale Machtstrukturen nutzen, um ihr Anliegen durchzudrücken und dass du dir drei Mal überlegst, ob du das jetzt ansprichst, weil du heute vielleicht nicht die Energie für die darauf folgende Diskussion hast. Und das schale Gefühl von Selbstbetrug und Verrat an dir und allen anderen, die den gleichen Scheiß erleben, auf dem Heimweg, wenn du es nicht getan hast. Es bedeutet, dass dein Boyfriend dich belügt und dir dann einredet, dass mit dir etwas nicht stimmt, weil du ihm misstraust. Und dass du ihm glauben willst. (Du bist nicht dumm. Du bist nur nice und willst nicht glauben, dass jemand so ein Schwein sein kann.) Es bedeutet, nicht in diesen einen Späti zu gehen (obwohl er auf dem Nachhauseweg liegt!), weil du dem Besitzer mal deine Telefonnummer gegeben hast und er dich über Wochen nicht in Ruhe gelassen hat. Es bedeutet, dass du in einer Kneipe fragst, ob du kurz aufs Klo kannst und der Kellner sagt „Nur wenn du die Maske abnimmst und mich ganz lieb anlächelst“. Und du es machst, weil du halt aufs Klo musst und es einfach auch nicht immer in dir hast, zu pöbeln. Es bedeutet, dass dich ein Guy ohne zu fragen filmt, während du ihm einen bläst. Und du zu jung bist, um anders zu reagieren als es später heimlich zu löschen. Es bedeutet, dass dieser Guy 10 Jahre älter war als du, viele Frauen mies behandelt hat und keiner seiner Freunde („Genossen“ aus deiner Politgruppe) daran etwas komisch fand. Es bedeutet, von all deinen Freundinnen ähnlich schlimme, anders schlimme und schlimmere Erlebnisse zu wissen. Es bedeutet zu wissen, dass du all diese und viele weitere Erfahrungen (das hier ist nur ein Ausschnitt, ne) auf die ein oder andere Art mit allen Frauen teilst und Cis-Männer durchs Leben gehen, ohne irgendwas davon mitkriegen zu müssen.
Es bedeutet, ständig Entscheidungen treffen zu müssen, wie offen du sein willst, wie verschlossen du sein musst, worauf du dich einlässt, was du aushalten kannst, ob du mit der Situation spielen kannst. Und manchmal überschätzt du dich. Es bedeutet, dass du Männern selten Vertrauen schenkst. Es bedeutet, dass du immer weniger Bock auf Männer hast und es davon nur noch wenige in deinem wirklich nahen Umfeld gibt. Und dass du das noch nicht mal schade findest.
Es bedeutet, die Freundinnen, die sich entschieden haben, ohne Männer zu leben, richtig zu feiern. Die nicht mit Männern hängen: weil sie Männer einfach so uninteressant finden. Ein Leben ohne Männer. Fantastisch. Am liebsten ohne das ganze Geschlechterverhältnis, klar. Aber gern auch erstmal ohne Männer. Oder, na klar: ohne diese gewaltvolle, anstrengende, eingeschränkte und langweilige Form von Männlichkeit.
Es bedeutet, das Patriarchat im eigenen Kopf anzuerkennen. Und dich zu entscheiden, dich nicht mehr nach Männern zu richten. Es bedeutet, das nicht einfach zu können, sondern immer mehr und immer wieder neu lernen zu müssen. (Eine kurdische Feministin hat mal zu mir gesagt „dass du den Mann in dir töten musst“.)
Es bedeutet, regelmäßig durchzudrehen, weil es zu scheiße ist. Weil du nicht mehr kannst, weil all die Mikroaggressionen, die Gewalt, die Sinnlosigkeit, all die Blicke, Worte, Situationen, in denen du nichts giltst, die ganze fehlende Anerkennung, all das dich so müde macht. Es bedeutet, das nicht hinzunehmen, sondern in Wut zu verwandeln, Wut auf eine Welt, der du scheißegal bist. Und diese Wut und deine Lebendigkeit in einem Kampf unterzubringen, der größer ist als du.
Es bedeutet, dass du diesen Text schreibst und auch an deine schönen, lebendigen und spannenden Begegnungen und Beziehungen mit deinen engen Freunden, Boyfriends und anderen Männern denkst. Und du möchtest liebevoller und versöhnlicher sein, aber manchmal ist einfach Zeit für Unversöhnlichkeit. Es bedeutet auch, dass du dem Leser [2] dieses Textes klar sagst: „Wenn du an diesem Punkt Mitleid mit mir hast, don’t. Guck auf dich. Übernimm Verantwortung. Lass dich verunsichern. Geh in Beziehung. Gib zu, dass du nicht weißt, wie. Fang an, mehr als den Status Quo zu wollen und danach zu suchen, wie es gehen kann.“
Mir geht es gut. Warum? Wegen den Anderen. In meinem Fall: vor allem Frauen. (Und einigen ausgewählten Männern.) Freundinnen, Genossinnen, Gefährtinnen. Und auch: Vordenkerinnen, Wegbereiterinnen, Visionärinnen. Weil ich historisch nicht allein da stehe. Wegen Psychoanalyse, auch. Weil es natürlich Blockaden und Frust en masse gibt, aber auch Bereitschaft, Neugier und Lust. Weil es wahnsinnig aufregend ist, das eigene Begehren zu entdecken und in die Welt zu bringen. Weil wir ständig richtig hart über alles lachen. Weil wir auf der richtigen Seite der Barrikade stehen (und wenn ich mal in die falsche Richtung stolper, mich schon irgendjemand wieder einfängt). Weil Solidarität, Gemeinschaft und lebendige Beziehungen uns immer gelassener werden lassen. Weil wir auf die Straße gehen, uns organisieren, streiten, feiern, im Bett liegen, uns zurückziehen, ausruhen, für uns selbst und einander sorgen, lernen, weitermachen. Weil wir Begeisterung im Du und im Ich und im Du und Ich finden. Weil wir lernen, uns zuzuhören, uns trauen, uns zu zeigen, mit allen Fehlern und Unsicherheiten. Weil wir an all dem ständig scheitern und es neu versuchen. Weil wir gemeinsam um etwas Besseres ringen, etwas, das über die herrschenden Verhältnisse hinausweist.
[1] Ich glaube wirklich, vielen Männern ist gar nicht klar, wieviel (sozial, intellektuell, aktivistisch) ärmer die gemischte Szene ist, weil Frauen und weitere Nicht-Cis-Männer (und auch manche Cis-Männer) keinen Bock mehr darauf haben und sich daraus zurückziehen. Und was heißt auch „keinen Bock mehr haben“. Das ist oft ein jahrelanger, frustrierender Prozess, den sich die wenigsten leicht machen. Schönerweise suchen sich viele dann ja Zusammenhänge ohne Cis-Männer und genießen das Politikmachen dort sehr. Your loss, boys.