Fragile Erektion
Über Sex, Lust, Unsicherheit, Nähe, sich zeigen und Kommunikation
Ich bin ein heterosexueller cis Mann und habe hin und wieder sogenannte One_Night_Stands, hauptsächlich mit cis Frauen. Nicht immer sind diese Begegnungen klar auf nur eine Nacht begrenzt. Bei ungefähr der Hälfte dieser Begegnungen hatte ich (und habe ich weiterhin) nur zeitweise oder überhaupt keine Erektion.
Ich hatte und habe auch (offene) Liebesbeziehungen, in denen ich beim Sex nicht immer eine Erektion hatte und habe. Ich möchte mich aber hier auf meine Erfahrungen mit One_Night_Stands (ONS) beschränken. Ich schaue mir meine ONS deshalb an, weil ich sie mit einer Lebensphase in Verbindung bringe, in der ich sehr stark darauf fokussiert war, unabhängig sein zu wollen.
Die Idee von ONS gefällt mir eigentlich sehr gut. Ich verbinde sie mit Wünschen nach Begehrt- und Gewolltwerden, damit Menschen zu begegnen, die ich toll finde und denen ich auch körperlich nah sein möchte, ungebunden zu bleiben und trotzdem offen für ein Wiedersehen zu sein. Ich mag es, sich bei spannenden Diskussionen und Gesprächen neugierig anzunähern und sich dabei gegenseitig schöne Augen zu machen. Ich mag es zu knutschen und sich anschließend mit nach Hause zunehmen.
Das erste Mal bei jemandem zu Hause zu sein, finde ich total spannend! Ich möchte wissen, wie diese Person lebt und wer diese Person ist. Ich möchte gemeinsam ins Bett fallen und manchmal auch Sex haben. In der konkreten sexuellen Situation nackt gemeinsam im Bett zu liegen und keine Erektion zu bekommen, war lange ein großes Problem für mich.
Warum?
Als mir das die ersten Male passiert ist, habe ich mir nur gewünscht, mich in Luft aufzulösen. Ich wollte einfach aus dieser Situationen raus, weil ich mich so sehr geschämt habe. Es war ein enormes Gefühl des Scheiterns und der Verunsicherung. Ich habe mich total unzulänglich und ungewollt gefühlt. So, als hätte ich den Vertrag gebrochen (Nachhause gehen = Sex haben). Dieser unausgesprochene, aber dennoch existierende Vertrag, der mir vorgibt, wie alles um Sexualität herum erfolgreich funktioniert. Ich hatte (und habe manchmal noch) Angst, sexuell als nicht erfolgreich gesehen zu werden (und mich selber so zu begreifen) und damit auch als nicht liebenswert zu gelten und abgewertet zu werden.
Ich dachte: Wieso sollte eine so tolle Person jetzt noch ein Interesse an mir haben? Was denkt sie jetzt über mich und was wird sie ihren Freund*innen erzählen?
Auch ich habe gelernt: Richtiger (Hetero-)Sex ist, wenn cis Mann mit cis Frau Penetrationssex hat – und zwar mit den Geschlechtsteilen. Alles andere ist „Rummachen“, „Vorspiel“ oder „Petting“ und weniger wert, beziehungsweise nur nötig, um an das vermeintlich eigentliche Ziel – Geschlechtsverkehr - zu kommen.
Im Ergebnis habe ich meine Sexualität auf meinen Penis und Penetrationssex (Circlusionssex1) fokussiert und damit mein Lustempfinden auf meinen Penis als dessen Zentrum reduziert. Mit einem solchen Verständnis heißt keine Erektion schlichtweg: kein Sex. Durch diese Vorstellung von Sex entstand für mich ein eindimensionales und problematisches Bild von Sexualität, was unter anderem auch Performanz- und Leistungsdruck bedeutete und meinem Lustempfinden im Weg steht. Und das wiederum hieß: keine Erektion. Und gleichzeitig sind es diese Bilder von Sex (immer eine Erektion zu haben und zu bekommen, „lange genug durchhalten“, „nicht zu früh“ sondern gleichzeitig zum Orgasmus zu kommen etc.) die ein Versagen ermöglichen und keine Erektion zu haben erst zum Problem machen. Es ist ein absurdes Perpetuum Mobile. Es erschreckt und betrübt mich, mir das bewusst zu machen.
Das Bewusstsein und Unbehagen über dieses Bild von Sexualität, bedeutet leider nicht, mich davon einfach frei machen zu können. Es bedeutet auch nicht, einfach so andere sexuelle Handlungsoptionen zur Verfügung zu haben.
Selbst der gute und mutige Gedanke „alles ist möglich und darf sein (wenn es konsensuell ist!)“ ist für mich auch mit Überforderungsgefühlen verbunden.
Anders formuliert: Erlernte sexuelle Praxen zu hinterfragen, mutig für Neues und aufregend für das Gegenüber sein zu wollen, beantwortet mir noch nicht, was ich mir in einer sexuellen Situation wünsche.
In sexuellen Situationen, wie zum Beispiel ONS, herauszufinden, was ich möchte, ist manchmal schwer. Nicht immer einfach ist auch, Wünsche und Begehren überhaupt zu verbalisieren. Kommunikation ist aber super wichtig! Ich kann nicht erraten, was mein Gegenüber mag. Kommunikation über sexuelle Wünsche bedeutet also, gemeinsam erwünschte und unerwünschte Handlungen zu erforschen und abzugleichen.
Mag sie das?
Ich bin mir manchmal unsicher ob meine Sexualpartnerin Gefallen an meinen sexuellen Handlungen hat. Zum einem möchte ich natürlich auch Lustempfindungen und Befriedigung geben. Zum Anderen will ich auf keinen Fall übergriffig Handeln. Offene und ehrliche Gespräche über Sex sind ein guter Anfang um Verunsicherungen aufzulösen und nicht übergriffig zu handeln. Ich versuche es richtig zu machen, es bleibt aber die Unsicherheit, mich trotzdem blöd zu verhalten. Deshalb ist es für mich auch ein mit Angst besetztes Thema, denn natürlich will ich mit Menschen respektvoll und gut umgehen. Gleichzeitig hilft mir diese Unsicherheit, weil ich dadurch auf mein Verhalten schaue und lieber nochmal nachfrage.
Wegen dieser Angst mich falsch zu verhalten, habe ich mich oft handlungsunfähig gefühlt und hatte deshalb auch weniger Lustempfinden und damit: keine Erektion.
Nicht zuletzt bedeutet Unsicherheit auch genau das: Selber nicht sicher zu sein, ob ich sexuelle Handlungen generell oder eine ganz konkrete gerade möchte. Keine Erektion zu haben, kann auch einfach bedeuten, dass mir nicht gefällt, was passiert oder von meiner Sexualpartnerin gewünscht ist. Das verstehe ich jetzt so, aber das war leider lange anders.
Das Unabhängigkeitsdilemma
Ich habe lange versucht, einem unabhängigen und sexuell aktiven Selbstbild zu entsprechen. Durch meinen Unabhängigkeitswillen habe ich emotionale und körperliche Nähe diffus als Bedrohung empfunden. Vielleicht ist es aber auch andersherum: habe ich aus Angst vor Verletzungen, Nähe als Bedrohung empfunden und in einen Unabhängigkeitswillen umgedeutet? Ich kann das nicht sicher beantworten. Mir fiel es schwer, meine eigenen Wünsche nach Nähe und Intimität überhaupt wahrzunehmen und zuzulassen. Trotzdem waren diese Bedürfnisse vorhanden, sie haben sich stark in Form von Einsamkeitsgefühlen aufgedrängt. Sehr oft habe ich Nähebedürfnisse als Bedürfnis nach Sex verklärt. Vermeintlich oberflächige und unverbindliche ONS erschienen mir ungefährlich und damit besonders verlockend.
Heute erscheint es mir wenig verwunderlich, dass ich in diesen Situationen keine Erektion hatte – weil ich eigentlich einsam war und emotionale Nähe gebraucht hätte.
Dass es mir dadurch lange nicht möglich erschien, Sex zu haben und damit auch diese Form von Nähe nicht zu bekommen, hat dazu geführt, dass ich mich wiederum noch einsamer gefühlt habe.
Und wieder: ein problematisches, sich selbst bedingendes Perpetuum Mobile.
Darüber hinaus empfinde ich es als problematisch, wenn Sex die einzige Möglichkeit zu sein scheint, um Nähe zu leben.
Ich habe mich lange ziemlich allein mit meinen Unsicherheiten und der Scham des „Scheiterns“ gefühlt. Mein Fokus auf Unabhängigkeit bzw. die Angst vor Verletzlichkeit bedeutete auch,nur sehr wenige nahe Freund*innenschaften zu haben. Ich habe mich nur selten und sporadisch Menschen emotional geöffnet. So hat mir zu der Zeit auch ein guter naher Freund gefehlt, dem ich mich hätte anvertrauen können. Idealerweise gleich mehrere, um damals schon zu merken, dass ich nicht der einzige bin mit diesen Themen – und um sich gemeinsam zu unterstützen. Gleichzeitig haben mir aber auch die Worte gefehlt. Es fiel mir sehr schwer, über Emotionalität und Ängste zu sprechen. Bei meinen Versuchen, dennoch Gespräche mit cis Männern über Sex und Erektionen zu führen, habe ich Aussagen wie „Ich kann auch nicht mit jeder Frau Sex haben“ bekommen. Das war für mich absolut nicht hilfreich, sondern total am Thema vorbei. Da habe ich mich fremd gefühlt statt verstanden. Die Reaktionen verstärkten meine Selbstzweifel, wiederholten mein Bild „Die anderen haben diese Probleme nicht“ und ich fühlte mich weiterhin einsam.
Ich bin enorm dankbar für all die guten und teilweise sehr schmerzlichen Gesprächen mit den Frauen und Queers in meinem Freund*innenkreis. Sie haben mein Fühlen und Verstehen um ein ganzes Universum erweitert. Mir ist die emotionale Arbeit, die dabei geleistet wurde, durchaus bewusst. Durch diese Gespräche und dadurch dass meine Gegenüber in sexuellen Situationen meistens total empathisch und wohlwollend reagiert haben, wenn ich plötzlich verschüchtert ohne Erektion neben ihnen lag, habe ich angefangen aufzumachen. Aufzumachen im Sinne von mich zeigen, versuchen, darüber zu reden, auch wenn ich das Verstehen und die Worte noch nicht ganz hatte.
Ich habe mit Sexualpartnerinnen auch andere Erfahrungen gemacht, die schmerzhaft waren. Zum Beispiel: Zusammen nackt im Bett zu liegen, Sex zu haben und plötzlich eine Aussagefrage zu bekommen wie: „Hä! Stehst du überhaupt auf Pussies!?“ weil ich keine Erektion hatte und sie damit den Sex beendete. Ich bin queer und mag Sex mit Männern und selbst wenn ich nicht queer wäre – darum geht es nicht. Bei einem anderen ONS zeigte meine Sexualpartnerin mehr als nur Enttäuschung, sondern war mindestens auch beleidigt2, weil meine Erektion durch meine Verunsicherung nachgelassen hatte und damit kein Circlusionssex mit meinem Penis möglich war. Das fühlte sich ziemlich verletzend an. Dabei denke ich, dass es nicht verwunderlich ist, dass ich auch diese Erfahrungen gemacht habe. Wir leben in einer Gesellschaft, in der cis Männer (wie ich) mehrheitlich um ein Bild bemüht sind, das einen immer sofort erigierten und einsatzfähigen Penis zeichnet. Sowas kommt, auch, von sowas. Das fühlt sich echt mies an. Dieses Bild muss sich ändern!
Was mir hilft: Anhalten. Erfragen. Zuhören. Und von vorn!
Mein Aufmachen war und ist auch mit einem Anhalten verbunden. Mit Anhalten meine ich den imaginierten Ablaufplan von Kennenlernen, Knutschen, nach Hause Gehen und Sex Haben zu unterbrechen. Zum Beispiel dadurch, dass ich, wenn die Frage aufkommt, zusammen nach Hause zu gehen, direkt sage, dass ich vielleicht keinen Sex haben möchte. Das nimmt mir den Druck, Sex haben zu müssen. Und falls Sex das Hauptanliegen meines Gegenübers ist, kann die Person hier schon entscheiden zu gehen (was bisher nie passiert ist). Zudem ist so ein offener Anfang auch oft der Aufmacher, um weiter über Sex und Verunsicherung zu reden und dabei auch zu merken, dass ich mit meinen Zweifeln selten allein bin. Meine Unsicherheiten ernst zu nehmen, gibt mir die Möglichkeit, problematische Performanzansprüche mehr und mehr abzubauen und mir und anderen empathischer zu begegnen. Zweifel, Ängste und Unsicherheiten zuzulassen und zu zeigen, ist für mich immer noch oft mit Scham verbunden, ist aber auch zu einer wichtigen Fähigkeit und Stärke für mich geworden, auch weil sie mich meinem Gegenüber meistens näher und vertrauter fühlen lässt. Mir fühle ich mich dadurch ausnahmslos immer näher und vertrauter!
Mit Erfragen meine ich: mich selber und mein Gegenüber in der konkreten Situation zu fragen, was eigentlich gerade gewünscht ist und welche Vorstellungen und Bedürfnisse da sind. Damit können (problematische) Vorannahmen und vorgefertigte Bilder aufgelöst werden und damit entsteht die Möglichkeit sich als Subjekte lustvollen Handlungsoptionen anzunähern.
Für mich lohnt es sich auch generell Wünsche nach ONS zu hinterfragen: was möchte ich damit, was suche ich darin?
Mit Zuhören meine ich: mich selber und mein Gegenüber zu hören und die verschiedensten Bedürfnisse wie Kuscheln, Reden, kein Sex haben zu wollen oder es nicht so genau zu wissen, ernst zu nehmen und danach zu handeln. Zuhören bedeutet auch zu schweigen, um der anderen Person Zeit und Raum zu geben, sich mitteilen zu können. Ich möchte wissen, wer diese Person ist, was sie mag und was sie nicht mag!
Fragend und zuhörend, miteinander in Kommunikation zu sein und zu bleiben macht es möglich einen Raum zu schaffen, der weniger Angst macht verletzend zu handeln und in dem sexuelle Handlungen jederzeit verhandelbar bleiben. Ich möchte verantwortungsbewusst handeln und mein kognitives Kontrollphantasma - „ich kann immer alles richtig machen“ - in eine gemeinsame Achtsamkeit füreinander auflösen.
Für mich bleibt es ein immer wiederkehrender Prozess, meinen Körper kennenzulernen und meinen Unsicherheiten liebevoll zu begegnen. Manchmal brauche ich mehr Zeit als bei einem ONS, um jemanden zu vertrauen und damit Sex möglich zu machen. Manchmal ist Sex für mich auf körperliche Befriedigung fokussiert und manchmal verschleiert mein vermeintlicher Wunsch danach andere Bedürfnisse wie zum Beispiel Kuscheln, Gehaltenwerden oder andere körperliche Zärtlichkeiten und Intimitäten.
Ich möchte schamlos und lustvoll ohne Erektion sein können,
ich möchte mutig sein können und unsicher sein dürfen.
Dieser Text entstand mit viel Unterstützung von Freundinnen*
Ein enorm wertschätzendes Danke an euch!
Fußnoten
1Bini Adamczak schreibt dazu: “Penetration bedeutet: etwas – einen Halm oder Nippel – in etwas anderes – einen Ring oder ein Rohr – hineinschieben. Halm oder Nippel sind dabei aktiv. Circlusion bedeutet: etwas – einen Ring oder ein Rohr – auf etwas anderes – einen Halm oder Nippel – drauf schieben. Dabei sind Ring oder Rohr aktiv.”
2 In der Besprechung dieses Textes hatte Ulla einen Kommentar hierzu, den ich euch nicht vorenthalten möchte: „Dieses Beleidigtsein hat in meiner Erfahrung auch viel mit Unsicherheit und Verletzlichkeit zu tun. Als Frau habe auch ich gelernt, cis Männer wollen und können immer Sex haben. Wenn cis Männer keine Erektion bekommen, liegt das an dir als Frau. Dieses Bild muss mit abgeschafft werden. Das ist meiner Meinung nach auch ein Grund für bestimmte Formen sexueller Übergriffe. Frauen machen sexuelle Handlungen mit, die sie nicht wollen, um nicht als unsexy, unattraktiv, frigide…zu gelten und damit als nicht liebenswert. Solche Bilder und Strukturen sind ja historisch gewachsen. Die Vorstellung „Einen Mann nicht halten zu können“, weil ich sexuell nicht performe, scheint zwar heute altbacken, ist aber trotzdem wirkmächtig.“
Lukas Tau ist Teil der Boykott Magazin Redaktion. Er interessiert sich für die Auswirkungen von Kapitalismus auf zwischenmenschliche Beziehungen. Er hat kein Abitur und noch nie (ganz) Marx gelesen. Seinen Lebensunterhalt erarbeitet er sich als Schlosser, in seiner Jugend war er viel auf Oi Konzerten und ist schon oft über seine eigenen (männlichen) Füße gestolpert. Super spannend findet er die Verbindung von feministischer Theorie, Analysen von Marx und der Psychoanalyse.