Können wir jetzt über was anderes reden?
Ein Zine über Erfahrungen in Beziehungen mit cis Männern
Wer wir sind, warum wir diesen Text schreiben und warum er uns so wichtig ist
Wir sind Freundinnen und ein wichtiger Teil unserer Freundinnenschaft ist der Austausch über Emotionales. Dabei ist uns aufgefallen, dass uns in unseren Beziehungen mit cis Männern immer wieder ähnliche Muster begegnen und ähnliche Dinge nerven. Oft hat dies mit Rollenverteilungen zu tun, die patriarchalen und zweigeschlechtlichen Strukturen folgen. Wir sind cis Frauen und die hier beschriebenen Beobachtungen haben wir in Hetero-Liebesbeziehungen gemacht sowie in Freund*innenschaften mit cis Männern.
Wir (die schreibenden cis Frauen und unsere Freund*innen) haben ähnliche Vorstellungen von Beziehungen: Uns ist es wichtig und wertvoll füreinander da zu sein und Verantwortlichkeiten zu übernehmen und uns so (eventuell gemeinsam) verändern zu können. Eine der Chancen, die wir in Beziehungen allgemein sehen, ist sich gegenseitig so gut kennenzulernen, dass wir die schönen und die anstrengenden, verletzenden und uncoolen Seiten aneinander entdecken und uns darüber austauschen können. Das ist auch möglich, weil wir uns das Vertrauen geben, Dinge an uns aber auch an strukturellen Gegebenheiten miteinander verändern zu können. Das ist schwer – vor allem wenn es um patriarchale Verhaltensweisen geht, die ein Leben lang antrainiert wurden wie zum Beispiel Fürsorge bei Frauen oder Abgrenzung bei Männern (um es mal platt zu sagen). In diesem Text möchten wir unsere Erfahrungen mit Beziehungen mit cis Männern teilen und skizzieren, an welchen Punkten ungleiche Rollenverteilungen auftauchen, was diese mit uns und unseren Beziehungen zueinander machen und wie wir die sogenannte Beziehungsarbeit erleben.
Die Gliederung des Textes entspricht unserem Zugang zur Thematik: Unter „Beobachtungen“ beschreiben wir unsere Erfahrungen in Beziehungen mit cis Männern. Wir sind in unserem Austausch mit ähnlichen Punkten konfrontiert gewesen und nicht weiter gekommen. Unter „Theoretische Ideen” ordnen wir diese Beobachtungen in patriarchale Muster ein, mit denen wir uns beim Lesen über Care- und Beziehungsarbeit auseinandergesetzt haben. Wir empfinden es als wichtig den Austausch vom Privaten ins Öffentliche zu verlagern.
Dieser Text soll die Möglichkeit eröffnen strukturelle Ebenen von Beziehungsarbeit zu diskutieren, die unserer Meinung nach oft auf persönliche Differenzen heruntergebrochen werden. In unserem Alltag mit cis Männern wird die strukturelle Ebene unserer Probleme miteinander negiert oder abgeblockt. Die Konsequenz dieser Verneinung ist, dass der Kern eines geäußerten Unwohlseins nicht gefunden wird, patriarchale Strukturen weiterhin bestehen bleiben und die eine Seite mit der Beziehungsarbeit übermäßig belastet ist. Uns ist wichtig diesen Text zu schreiben, da diese Probleme nicht allein unsere privaten sind, sondern sie auf strukturellen Unterschieden beruhen. Um eine solidarische, gleichberechtigte Gesellschaft zu schaffen braucht es auch ein Ansetzen an Beziehungsstrukturen.
Als Beziehungsarbeit verstehen wir Fürsorgetätigkeiten sowie Reflexionen, die Emotionen rund um die Beziehung oder auch das emotionale Leben außerhalb der Beziehung betreffen. Das kann zum Beispiel das Ansprechen von Konflikten oder heiklen Situationen sein oder das Weiterdenken und wieder Ansprechen von geäußerter Kritik. Empfindlichkeiten und Blockaden können nur durch Auseinandersetzungen abgebaut werden. Wenn Gefühle und Erwartungen klar ausgesprochen werden, wird ein emanzipativer Umgang miteinander möglich. Wir denken, es gibt drei wichtige Aspekte von Beziehungsarbeit:
- Die Beziehung Betreffendes thematisieren und herausfinden, wie es beiden (allen) in der Beziehung geht
- die eigenen Emotionen verstehen und sie der anderen Person verständlich machen und
- das Nachfragen nach den Gefühlen der anderen Person und einen empathischen Umgang damit.
Im Sommer 2016 haben wir diesen Text in einem Workshop vorgestellt. Verschiedene Anregungen und gemeinsame Diskussionen aus diesem Workshop fließen hier ein. Danke für den spannenden Austausch!
Eine der Anregungen, die wir aus dem Workshop mitgenommen haben, ist die Problematik des Begriffs „Beziehungsarbeit“. Dieser Begriff hatte für einige einen sehr negativen Beiklang. Das liegt vor allem an den Konnotationen, die mit dem Begriff „Arbeit“ verbunden sind, gerade in einer kapitalismuskritischen Linken, die Kritik der Lohnarbeit als zentrales politisches Moment betrachtet. Diese Kritik leuchtet ein, allerdings fühlt sich auch Beziehungsarbeit, wenn sie einseitig getan wird, häufig nach der Bedeutung des Wortes Arbeit an. Nach Mühsal und Pein nämlich. Trotzdem meinen wir nicht, dass Beziehungsarbeit für uns negativ ist. Ganz im Gegenteil! Wenn Austausch, Nähe und Reflexion gelingt, wir miteinander am Zusammensein und an Freund*innenschaften feilen, Probleme (persönliche, politische, strukturelle) ansprechen und überwinden, ist das wahnsinnig beflügelnd, berauschend und schafft mehr Vertrauen und Nähe. Diese zwei Seiten sind in dem Begriff Beziehungsarbeit enthalten
1. Beobachtungen
In unseren Freund*innenkreisen und in unseren Hetero-Liebesbeziehungen machen wir sehr ähnliche Beobachtungen wer Beziehungsarbeit übernimmt. Eine unserer Hauptbeobachtungen ist, dass viele unserer cis-männlichen Freunde sich dabei nicht mit besonderem Elan hervortun. Das wird an unterschiedlichen sich wiederholenden Mustern deutlich, die wir im Folgenden kurz skizzieren wollen. Wir möchten hier schon mal klar formulieren, dass es in unseren Freund*innenkreisen durchaus auch andere cis Männer gibt (fühlt euch nicht angesprochen) und auch cis Frauen, Queers und Trans*, die ganz ähnliches Verhalten an den Tag legen, wie das hier beschriebene. Bei unseren cis-männlichen Freunden häuft sich dieses Verhalten stark, weshalb wir uns hier auf sie fokussieren.
Generell haben wir es häufig beobachtet, dass Emotionales von Seiten der cis Männer mit der Partnerin ausgetragen wird, eventuell noch mit weiblichen Freundinnen, sehr selten aber mit befreundeten (hetero) cis Männern. Nahe, offene, liebevolle Freundschaften zwischen cis Männern sind (unserer Beobachtung nach) eher ungewöhnlich. Cis Männer müssen sich nicht unbedingt cis Männer zu Freunden machen. Problematisch ist aber die Struktur: Viele unserer cis-männlichen Freunde und Bekannten umgeben sich mit (cis) Frauen in ihren Freund*innenkreisen, die quasi selbstverständlich die Beziehungsarbeit in diesen übernehmen. Das System funktioniert gut. Viele cis Frauen haben seit frühester Kindheit gelernt Emo-Arbeit zu machen. Sie sind gut darin zuzuhören, anzusprechen, aufmerksam zu sein, Emotionales in Worte zu fassen, Trost und Zuneigung zu spenden, verständnisvoll zu sein und so weiter.
Das sind tolle Skills! Problematisch ist aber die Konstellation, dass sich cis Männer darauf ausruhen können, dass ihr Freund*innenkreis die Emo-Arbeit für sie übernimmt. Das nervt uns, da wir auch gerne umsorgt, bedacht, gefragt, gehört werden möchten und nicht der Großteil der Beziehungsarbeit auf unseren Schultern lasten soll.
Reden und Zuhören
Vielen unserer cis-männlichen Freunde fällt es schwer – oder sie sehen die Notwendigkeit nicht – Emotionales von sich aus anzusprechen oder auf bereits Angesprochenes zurückzukommen. Das beinhaltet die eigenen Emotionen zu formulieren und zu zeigen und die des Gegenübers wahr- und ernst zunehmen. Das bedeutet auch, wieder darauf Bezug zu nehmen und nach den Emotionen zu fragen und Strukturen und Probleme in der Beziehung oder in Gruppenkonstellationen wahrzunehmen und anzusprechen und sich der Auseinandersetzung zu stellen. In Bezug auf Reden und Zuhören haben wir in unserem nahen Umfeld sehr unterschiedliche Varianten kennengelernt, wie sich unsere cis-männlichen Freunde dem entziehen.
Eine von uns hat einen Vater, der in jahrelanger Therapie gelernt hat über sich und seine Probleme (vor allem körperlicher Natur aber hin und wieder auch Psychisch-Emotionales) zu reden. Mich, seine Tochter, zu fragen, wie es mir geht und was mich beschäftigt oder über unsere Beziehung zu reden, ist aber weiterhin eine Herausforderung und eine Aufgabe, die mit Unbehagen von seiner Seite (nicht) bewältigt wird. Ich weiß, dass ich ihn wirklich interessiere, aber dieses Interesse zu formulieren scheint ihn vor große Hürden zu stellen und wird möglichst schnell (und unbeholfen) hinter sich gebracht.
Die andere Seite der Medaille erlebte eine von uns in einer Liebesbeziehung. In dieser wurde ich gefragt, es wurde sich erinnert an Probleme, die ich hatte, Themen die mich beschäftigten etc. Das war wundervoll, allerdings schien es für meinen cis-männlichen Beziehungspartner enorm schwierig zu sein, sich zu öffnen, die eigenen Gefühle zu erkennen und zu benennen und sich verletzlich zu machen. Und – wie oben beim Vater – war auch hier das Reden über unsere Beziehung, das Ansprechen von Problemen oder problematischen Strukturen, mir überlassen. Meine Beziehung ist vor kurzem nach vielen Jahren zu Ende gegangen, nicht zuletzt der Themen wegen, die in diesem Text angesprochen werden.
Wir schreiben hier nicht über Nebensächlichkeiten (oder gar Nebenwidersprüche) sondern über die Fähigkeit mit sich und anderen in echten Kontakt zu treten, patriarchale Strukturen und die Privilegien aber auch Verletzungen darin in emotionalen Beziehungen zu erkennen und sie zu ändern. Oder, wie Jamie Utt schreibt: „One of the ways that patriarchy truly wounds us as men is that it demands we divorce ourselves from that which makes us human – from our emotions and capacity for empathy and accountable love.“
Der Schritt, solche Dinge überhaupt anzusprechen, wird sehr häufig von Frauen übernommen, vor allem wenn es darum geht (problematische) Strukturen und Verhaltensweisen in der Beziehung anzusprechen. Diese Erfahrungen machen wir nicht nur in Liebesbeziehungen, sondern auch in Freund*innenschaften oder Gruppenbezügen. Häufige Entgegnungen auf das Ansprechen sind „Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll“ oder „Können wir jetzt über was anderes reden?“. Absurd-tragisch, fast amüsant ist das angesichts der Tatsache, dass Personen, von denen solche Aussagen kommen, sich durchaus auf feministische Ideen beziehen und sich als patriarchatskritisch verstehen. Deswegen nun von uns für euch eine verkürzte, überspitzte Skizze verschiedener von uns beobachteter Verhaltensmuster:
Der Hahn im Korb
Oft haben wir den Spruch „Meine beste Freundin ist eine Frau“ gehört, der uns mittlerweile zur Weißglut bringt! Sehr oft wird er – gerade in linken Kontexten – von cis Männern hervorgebracht, die damit auf ihre vermeintliche feministische Offenheit verweisen wollen. Auch ein Sich-Aufregen über Verhalten von andern Männern und das Betonen, dass man ja mit denen auch nichts anfangen könne, ist oft begleitet von einer mangelnden Auseinandersetzung mit der eigenen Männlichkeit und was diese für andere bedeutet. Sich als Ausnahme zu verstehen und sich mit vielen Frauen zu umgeben ist das „Hahn im Korb“-Verhalten. Was das uns sagt: Mal wieder übernehmen Frauen emotionale Arbeit in Beziehungen.
„a man is an island“
Probleme, Gefühle oder Konfliktpunkte machen viele unserer cis-männlichen Freunde mit sich selber aus. Das heißt vor allem, dass wir nicht mit einbezogen werden, in was sie denken, fühlen oder auch an Kritik an uns haben, beziehungsweise wie sie mit Kritik von uns umgehen. Wir werden quasi vor das Endergebnis gestellt, vor die viel besungenen vollendeten Tatsachen. An einem Prozess beteiligt zu werden, der uns als Freund*innen manchmal nicht nur potentiell interessiert, sondern ganz konkret betrifft, bringt uns der Person näher. Beispielsweise endete eine Affäre mit der Aussage des damaligen Partners, wir wollten zu unterschiedliche Dinge voneinander, ich würde ihm nicht genug Zeit und Aufmerksamkeit schenken. Mich überraschte das, da wir darüber zuvor nie deutlich gesprochen hatten, und mir nie klar gesagt wurde, dass er unsere Beziehung zueinander als unbefriedigend empfand und sich Veränderung wünschte. Es ist immer auch wichtig zu wissen, welche Bedürfnisse wir selbst haben. Die andere(n) Person(en) dann aber vor einen schon getroffenen Entschluss zu stellen, bedeutet, sich weniger verletzbar zu machen und der Beziehung die Möglichkeit zu nehmen von beiden Seiten aktiv gestaltet zu werden.
Sprachlosigkeit
Wir haben es oft erlebt, dass auf Kritik, auf das Ansprechen von Problemen einfach gar nichts gesagt wird. Stattdessen haben unsere Freunde sich verletzt zurückgezogen, geschwiegen und emotional dicht gemacht. Das verhindert nicht nur den Austausch über die Thematik und eine Aushandlung des Konflikts, sondern hinterlässt bei uns das Gefühl, die Person ließe uns auflaufen. Die Mühe, die wir in die Reflexionen unserer Emotionen und das Verständlich-Machen gesteckt haben plus die Überwindung, die es gekostet hat, diese Dinge anzusprechen, läuft ins Leere. Gleichzeitig werden wir mit unserer Kritik, mit Gefühlen wie Verzweiflung, Ärger oder Verletzung allein gelassen. Eine Auseinandersetzung wird uns verweigert, wir wissen nicht was los ist und sind so gezwungen, die Problematik ebenfalls mit uns selber auszuhandeln, die wir eigentlich als ein Problem von uns beiden/allen identifiziert haben. Gar keine Einschätzung zu haben, was das Gesagte bei unserem Gegenüber auslöst, fühlt sich oft schlimmer an als ein Streit. Nicht-Reden und Nicht-Verhalten, um sich nicht verletzbar zu machen, sich nicht zu zeigen, fügt sich in patriarchale Rollenmuster ein. Es reproduziert unsere ansozialisierten Verhaltensweisen und erfüllt die klassischen Klischees des rationalen gefühllosen Mannes vs. der emotionalen Frau.
Überforderung
Eine andere oft erlebte Reaktion ist die, dass Kritik und/oder Änderungswünsche als eine zu hohe Anforderung abgewehrt werden. Kritik wird dabei nicht als Kritik an einem bestimmten Verhalten oder einer bestimmten Beziehungsstruktur gesehen, sondern gleich auf die ganze Person bezogen. Sich soweit in die eigene Verletztheit zurückzuziehen bedeutet auch, sich einer Auseinandersetzung nicht zu stellen. Auf eine Kritik zu reagieren mit Aussagen wie „Ich bin schlecht“ oder „Immer mache ich alles falsch“ hat häufig den Effekt, dass wir (die gerade Kritisierenden) uns nun bemühen, die andere Person wieder aufzubauen und uns um sie zu kümmern. Dem eigentlichen Kritikpunkt wird der Raum genommen. So kann keine Auseinandersetzung stattfinden und die ganze Aufmerksamkeit liegt auf dem Trösten der Person, die wir eigentlich kritisieren wollten. Zudem wird, anstatt dass unsere Mühe, eine konkrete Kritik zu formulieren, Wertschätzung erfährt, uns vielmehr ein schlechtes Gewissen vermittelt, die andere Person verletzt zu haben. Natürlich kann ehrliche Kritik verletzend sein und es kann ein wenig Zeit brauchen diese sacken zu lassen und sich eigene Gedanken darüber zu machen. Aber auch ein erneutes Ansprechen zu einem späteren Zeitpunkt haben wir selten erlebt. Stattdessen verhindern Aussprüche wie „Aber jetzt gerade haben wir es doch schön miteinander“ erneut eine Auseinandersetzung.
Die Timing-Frage
Wir haben es außerdem oft erlebt, dass auf das Ansprechen von Konflikten, gerade wenn diese schon öfter Thema waren, mit der Aussage reagiert wird, wir seien einfach zu schnell, unsere cis-männlichen Partner bräuchten einfach mehr Zeit oder bekämen nicht genug Raum, Konflikte von sich aus anzusprechen. Mit diesen Aussagen wird das Ansprechen von Problemen häufig umgangen. Aussagen wie „Ich hätte dich da später auch drauf angesprochen“ setzen uns in eine Position von Unaufmerksamkeit (bis hin zu Übergriffigkeit), aus der heraus sich schlecht Kritik äußern lässt. Der inhaltliche Fokus wird auf den „richtigen Zeitpunkt“ geschoben, weg von der eigentlichen Auseinandersetzung.
Verlagerung ins Persönliche
Viele dieser Probleme beziehen sich auf patriarchale Strukturen, Rollenverteilungen, Diskriminierungen usw. - also Probleme, die wir (auch) auf einer strukturellen Ebene verorten. Wenn wir aber konkrete Verhaltensweisen oder Muster ansprechen und eine strukturelle Einordnung vornehmen, wird dem häufig damit begegnet, das Ganze zu individualisieren. Es handle sich um „unser persönliches Problem“, wir sollten „aus einer Mücke keinen Elefanten machen“, wir nähmen „unzulässige Verallgemeinerungen“ vor, bis hin zu „Steck mich nicht in eine Schublade“. Wir werden gerade von euch, liebe cis Männer, ständig in Schubladen gesteckt, in denen wir nicht stecken wollen! Z.B. in die Schublade, diejenige zu sein, die selbstverständlicherweise die Beziehungsarbeit übernimmt. Die Gemeinsamkeit von Erfahrungen und die strukturellen Probleme mit cis Männern können nur sichtbar werden, wenn wir sie benennen und uns darüber austauschen und nicht selbst in die Falle tappen, unser Erleben als nur individuelles wahrzunehmen.
In Gruppenzusammenhängen und bei cis Männern in der (radikalen) Linken haben wir festgestellt, dass da, wo ein erster Schritt gemacht ist, strukturelle Aspekte schwer zu thematisieren sind. Wenn anerkannt wird, dass Frauen in patriarchalen Gesellschaften unterprivilegiert sind, Definitionsmacht (zumindest vermeintlich) vertreten wird und sogar das Prinzip Care-Arbeit überdacht wurde, wird schnell ein Häkchen an der Box „Feminismus“ gemacht. Dass eine feministische, anti-patriarchale Praxis mehr bedeutet als Texte zu lesen und sich um den Abwasch zu kümmern, wird in der Konfliktsituation schnell vergessen und Kritiken, die darauf hinweisen, werden abgetan.
Exkurs: Sicht auf Liebesbeziehungen
Die oben genannte Konflikt- und Kritikpunkte erleben wir auch in romantischen Liebesbeziehungen. Hier werden Reden, Zuhören und Auseinandersetzungen erschwert durch ein verromantisiertes Bild, welches Liebesbeziehungen zugrunde liegt und optimal mit den oben beschriebenen Strukturen zusammen passt. Dieses Bild zeichnet Liebesbeziehungen als den Raum, in dem alle so akzeptiert werden, wie sie sind, in dem immer alles schön und harmonisch ist und keine Ansprüche an die andere Person gestellt werden. An Beziehungen arbeiten geht gar nicht! Entweder mensch passt zusammen oder halt nicht. Wenn nicht alles passt, es unterschiedliche Bedürfnisse, Vorstellungen und Wünsche gibt, muss mensch sich im Zweifelsfall eben trennen oder es sich „mal schön machen“. Die Idee sich zu verändern, an gemeinsamen Mustern zu feilen, scheint abwegig.
Diese Grundansicht macht auch ambivalente Situationen kaum denkbar. Entweder es ist gut oder schlecht. Dass Situationen beides sein können, dass es mir gleichzeitig mit dir gut und schlecht gehen kann, ich von Verhalten verletzt und erfreut sein kann, entzieht sich der Wahrnehmung.
Hier liegt ein Bild von Verliebtheit zu Grunde, während derer das meiste „nur schön sein kann“ und wenn vieles nicht schön ist, ist eben die Verliebtheit vorbei. Es stellt sich die Frage inwiefern (besonders hetero-?) Liebesbeziehungen hier einen Raum darstellen, der durch eine idealisierte Romantik zu dem Ort jenseits emanzipatorischer Ansprüche wird. Und klar – es wäre schön, hätten wir einen Bereich, in dem ohne Hinterfragen einfach alles in Ordnung wäre. Ist es aber nicht.
2. Theoretische Ideen
Neoliberaler Kapitalismus
Die Überhöhung der Liebesbeziehung beschreibt Bini Adamczak in einem Beitrag „Beziehungsweisen. Liebe & Kapital“ als logische Institution im Kapitalismus. Als Gegenbild zum kalten „Außen“ braucht es die romantische Liebesbeziehung als warmes „Innen“. Nachdem Menschen im Kapitalismus nahegebracht wird individuell mit Konkurrenz, Kälte und Härte zu agieren, um sich selbst den größtmöglichen Vorteil zu verschaffen (und damit Misstrauen und Feindseligkeit als Grundgefühle vorherrschen), fungiert die exklusive romantische Liebesbeziehung quasi als Gegen-Raum zu dieser garstigen Wirklichkeit. Im Privaten, in der Liebesbeziehung, müssen alle anderen Bedürfnisse erfüllt werden: Nähe, Loyalität, Zärtlichkeit, Liebe, Verständnis, Zuneigung, Ruhe, Akzeptiert-Sein… Hier soll eben alles schön sein. Hier soll nicht gearbeitet werden. Hier soll gleichzeitig alles erfüllt und nichts erwartet werden. Eine Vorstellung, die enttäuscht werden muss, wenn wir Beziehungen wollen, die mehr sind als ein vorübergehendes Abenteuer.
Mit der Funktionslogik des Kapitalismus müssen sich nun nicht nur cis Männer herumschlagen, sondern alle in ihm Lebenden (also alle). So sind die eben beschriebenen Aufladungen von Liebesbeziehungen auch bei allen (mehr oder weniger) wirksam und machen sich bei allen bemerkbar. Durch Funktionieren-müssen und Leistungsdruck sind große Teile unserer Zeit verplant – ständig haben wir alle zu wenig Zeit für Zwischenmenschliches, für Beziehungen und Pflege unseres Soziallebens. Vor allem wenn wir den Anspruch haben, verantwortlich mit Freundinnenschaften umzugehen und vertrauensvolle, langfristige Freundinnenschaften auch jenseits von monogamen Beziehungen aufzubauen. Konkret wird diese Problematik sichtbar, wenn nicht alles glatt läuft, wenn wir uns ernsthaft und kritisch miteinander auseinandersetzen und Beziehungen (und beispielsweise patriarchale Rollenaufteilungen darin) ändern wollen.
Sich Zeit für Beziehungen nehmen – diese Auseinandersetzung überhaupt zu führen – stellt eine Herausforderung dar. Nicht nur die fehlende Zeit, auch das Funktionieren im Arbeitsmarkt mit Konkurrenz und Individualisierung, mit zwischenmenschlicher Kälte, die uns die kapitalistische Marktlogik aufdrückt, zeigt seine Spuren. Auch wenn wir keine cis Männer sind, sind wir mit dem kalten „Außen“ konfrontiert, das Lust auf ein warmes „Innen“ macht. Warum ist uns dann Beziehungsarbeit wichtig? Warum können/wollen wir Auseinandersetzung und cis Männer eher nicht?
Patriarchat und Männlichkeit
Die Auswirkungen der kapitalistischen Trennung von „Außen“ und „Innen“ und die damit einhergehenden Anforderungen formieren sich auch entlang von Geschlechterrollen. Kapitalismus lässt sich nicht ohne Patriarchat denken. Und der öffentlichen und der privaten Sphäre – dem „Außen“ und dem „Innen“ – sind traditionell Geschlechterrollen zugeordnet. Der öffentliche Raum ist „männlich“, der private „weiblich“. Dementsprechend sind Eigenschaften, die Männern (immer noch) zugeschrieben werden und die als Männlichkeitsanforderungen Bestand haben, weiterhin Härte, Dominanz, Stärke, Durchsetzungsvermögen, Souveränität etc. Frauen sollen das Gegenbild hierzu darstellen. Sie sollen einfühlsam, zugewandt, zärtlich, emotional sein und heute zusätzlich erfolgreich, sourverän, stark usw.
Katharina Debus benutzt in ihrem Artikel „Und die Mädchen“ den Begriff Allzuständigkeit, der die Anforderungen an Frauen beschreibt, heute zum einen auf dem Arbeitsmarkt bestehen zu können, Karriere und Kinder zu vereinbaren, durchsetzungsfähig und stark zu sein und gleichzeitig weiterhin klassisch „weibliche“ Tätigkeiten zu übernehmen wie eben emotionale Arbeit und sich um das Wohlergehen des Partners zu bemühen. Dies führt zu einer permanenten Überforderung. Allein ist das nicht zu bewältigen.
Was bedeutet das für unsere Beziehungen? Unsere cis-männlichen Freunde haben gelernt, die eigenen Gefühle nicht zuzulassen oder gar zu äußern und emotionale Arbeit und einen Großteil anderer Care-Arbeit Frauen zu überlassen. Und schwupp taucht die oben beschriebene Struktur auf. Verstärkt wird das noch dadurch, dass vielen cis Männern beigebracht wurde, es sei wertvoll den eigenen Willen gegen den der anderen durchzusetzen – was Machozüge annehmen kann. Es kann aber auch das „Man-baby“ sein, dem es immer schlecht geht und um das sich alle kümmern.
Michael Messner beschreibt in seinem Modell zu Männlichkeiten neben den Privilegien, von denen (cis) Männer profitieren, auch Kosten, die männliche Sozialisation mit sich bringt. Gefühle nicht wahrzunehmen und zuzulassen ist ein Punkt, den er unter diese Kosten subsumiert. Messner sagt: „The promise of public status and masculine privilege comes with a price tag: Often, men pay with poor health, shorter lives, emotionally shallow relationships, and less time to spend with loved ones.“
Diese Kosten tragen cis Männer aber eben nicht alleine. Wir tragen fleißig mit. Wenn wir etwas anderes als „emotionally shallow relationships“ mit cis Männern haben wollen, müssen wir viel dafür tun: eben jene Beziehungsarbeit machen. Das Schweigen der cis Männer ist damit ein essentieller Baustein in der Aufrechterhaltung des Patriarchats, die Männer wie Frauen in angestammte Rollen verweist.
Eine ähnliche Struktur nennt bell hooks „patriarchal propaganda“, innerhalb derer Jungen und Männer „deny, supress, and if all goes well, shut down their emotional awareness and their capacity to feel“. Sie beschreibt kleine Jungen als die einzigen, denen es erlaubt wird, in Kontakt mit ihren Gefühlen zu kommen, und die ihr Bedürfnis nach Nähe und Liebe ausdrücken dürfen. „Patriarchy demands of men that they become and remain emotional cripples“. bell hooks beschreibt des Weiteren, dass Jungen lernen, ihren Kummer durch Wut zu verstecken oder zu überkommen. bell hooks wundert sich, dass cis Männer nicht voller Freude feministische Ideen begrüßen, die ihnen einen Ausweg aus der Gefühllosigkeit und der Oberflächlichkeit bieten.
In einem falsch verstandenen Feminismus in der radikalen Linken zeichnen „männliche“ Eigenschaften wie Toughheit, Souveränität und Härte eine Feministin aus, während Beziehungsarbeit eine Abwertung erfährt. Wir wollen uns als ganze Personen mit all unseren Gefühlen, Schwächen und Stärken, Wünschen, Bedürfnissen und Verletzlichkeiten wahrnehmen und zeigen können – und damit eine echte gesellschaftliche Änderung anstoßen, weg von Macker und Rape Culture hin zu solidarischem, zärtlichem Miteinander.
Normal ist das allerdings nicht und noch viel weniger einfach. Umso wichtiger ist Beziehungsarbeit: Um diese Fähigkeit zu üben, sich solidarisch-kritisch und empathisch dabei zu helfen und in der Veränderung zu unterstützen und einen Räume zu schaffen, in dem wir das leben können. Das sollte Bestandteil jedes emanzipatorischen Feminismus’ sein.
„Die Marxistin und Feministin Silvia Federici hat also völlig recht, wenn sie die feministische Revolution als unvollendet bezeichnet. Stellt sich unter anderem trotzdem die Frage, was wir in unserem alltäglichen Beziehungskuddelmuddel tun sollten. Ein paar Vorschläge: eine politische Ökonomie der Paar- und Nahbeziehungen formulieren, heteronormative Kleinfamilienstrukturen sowie gegenwärtige Gleichheitsideologien analysieren, in Frage stellen und Alternativen entwickeln - und auch: mehr streiten. Ist gar nicht so schlimm.“
Sarah Speck
Literatur
Bini Adamczak (2013): Beziehungsweise. Liebe & Kapital
Katharina Debus (2012): und die mädchen? In: Dissens e.V. (Hrsg): Geschlechterreflektierte Arbeit mit Jungen an der Schule
Andreas Goosses (2003): Männliche Sexualität und Erotik als Thema in der Männerarbeit. In: Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg): Männer und Sex(ualität) – Erotik im Geschlechterverhältnis
bell hooks (2004): the will to change – men, masculinity and love
Michael Messner (1997): Politics of Masculinities: Men in Movements (Gender Lense)
Sarah Speck (2016): Unterschiedliche Sauberkeitsstandards, in ak Nr. 615, https://www.akweb.de/ak_s/ak615/24.htm
Jamie Utt (2016): 5 Common Behaviours Cis Men May Not Realize Are Abusive (And How to Change Them) http://everydayfeminism.com/2016/07/cis-men-socialized-to-be-abusive/
Dieses Zine ist 2017 von U’n’S geschrieben und veröffentlicht worden.