(K)eine Alternative
Männlichkeit verbieten, überwinden oder doch reformieren?
(K)eine Alternative
Männlichkeit verbieten, überwinden oder doch reformieren?
„Es gibt Männer. Was Tun?“ fragt das Boykott Magazin und benennt gleich zu Beginn das Problem: Männer.
Die zurzeit populäre Antwort auf die Frage „Was Tun?“ konstatiert, dass nicht Männlichkeit an sich das Problem sei, sondern nur die traditionelle, toxische Spielart von Männlichkeit. Also ist die Lösung für unser Männerproblem eine „neue“ Männlichkeit. Die neuen Männer sollen emotionaler sein, weniger dominant, vielleicht würden manche sagen, sie sollen weiblicher sein. Aber in jedem Fall sind die modernen Männer immer noch Männer. Doch „kritische“ Männlichkeit als alternatives, sogar feministisches Identitätsangebot für sich als männlich identifizierende Menschen zu bewerben verkennt grundlegende Funktionsweisen von Männlichkeit und die Dimension des damit verbundenen Problems. Ich möchte versuchen in diesem Artikel herauszuarbeiten, was problematisch an „kritischer“ Männlichkeit ist und wie eine andere Antwort auf die eingangs gestellte Frage lauten könnte, die nicht in die Falle der heterosexuellen Zweigeschlechtlichkeit tappt
Zu Beginn werfe ich nochmal einen genaueren Blick auf „kritische“[1] Männlichkeitsangebote:
„Politische Männlichkeit“ [2]: Männer sollen sich nicht in Scham und Depression zurückziehen, sondern sollen ihre Privilegien dazu einsetzen, Gutes zu tun.
„Sorgende Männlichkeit"[3]: Männer zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich um ihre Lieben hingebungsvoll kümmern und diese versorgen.
„Pro-feministische Männlichkeit“[4], [5]: Männer sollen durch Selbstkritik und Awareness männliche Privilegien reflektieren, Stereotype vermeiden und dadurch Ungleichheiten abbauen.
Zusammenfassend werden in verschiedenen und doch sehr ähnlichen Konzepten mehr oder weniger immer wieder folgende Merkmale und Forderungen genannt: Die (linken) modernen Männer sollen die eigenen Privilegien kritisch reflektieren, sich um andere sorgen, rücksichtsvoll sein, sich verletzlich zeigen, die eigenen Gefühls- und Verhaltensdynamiken reflektieren und verändern, besser kommunizieren, sich solidarisch verhalten, gewaltvolle Sozialisierungsprozesse erkennen, reflektieren und (bestenfalls) zurückweisen, gegen sexistisches Verhalten bei sich und anderen vorgehen etc…
Wenngleich diese Forderungen für ein friedlicheres, freieres und gleicheres Zusammenleben wichtig und richtig sind und gleichsam an alle Menschen gerichtet werden sollten, ist verständlich, warum gerade sogenannte Männer diese bei ihnen oft nicht ausreichend auftretenden Verhaltensweisen verstärkt trainieren und lernen müssen. Soweit, so verständlich.
Was ist nicht toxisch an Männlichkeit?
Was allen alternativen Männlichkeitsvorstellungen gemein ist, ist, dass sie Männlichkeiten sein wollen. Ich frage mich an dieser Stelle, was an diesen Männlichkeiten noch männlich sein soll, wenn die antisozialen und gewaltvollen Eigenschaften durch sozial erwünschte Eigenschaften und Verhaltensweisen ausgetauscht werden.
Vielleicht ist dieser Rückbezug auf Männlichkeit eine Versicherung, dass dieses oft als unmännlich angesehene Verhalten trotzdem noch männlich ist. Vielleicht steckt insgeheim ein kleiner Genuss an den Privilegien, eine versteckte Trägheit zur tatsächlichen Veränderung oder ein noch bestehendes, wenn auch reduziertes (lies: „progressives“, „kritisches“, „politisches“) Commitment mit den Werten und Positionen von traditioneller Männlichkeit dahinter.
Eines ist mit Sicherheit dabei: Angst. Angst vor normativer Gewalt. All jene, die die Geschlechterrollenerwartungen (gewollt oder ungewollt) nicht ausreichend erfüllen, riskieren Denunziation, Androhung von Gewalt und Bestrafung für Abweichung in Form von subtiler Abwertung, physischer und psychischer Gewalt bis hin zum Mord. In den aktuellen Verhältnissen richtet sich diese insbesondere auf inter und trans Personen und homosexuell gelesene Männer. Die Angst vor der Gewalt führt von vorauseilendem Gehorsam bis zur Identifikation mit dem machtvollen Ideal, das relative Gewaltfreiheit und Privilegien verspricht. Die innere Struktur von Männlichkeit als prekärem Status, der immer wieder bewiesen werden muss, in dem es, in genereller Abgrenzung zu Weiblichkeit, verschiedene hierarchisch abgestufte Männlichkeitspositionen gibt, bleibt bestehen. Und weil es nicht nur problematische Inhalte sind, die Männlichkeit ausmachen, sondern auch deren innere Funktionsweise und Struktur, verändert sich zu wenig, wenn nur versucht wird Männlichkeit mit neuen Inhalten zu füllen.
Doch zurück zur Frage, was an „kritischer“ Männlichkeit noch männlich ist. Durch die innere Relationalität im binären Bedeutungsrahmen ist männlich alles, was nicht weiblich ist. Ich möchte diesen Zusammenhang hier kurz ausführen[6] und dann erneut auf die Frage zurückkommen, was zu tun ist:
Im vorherrschenden Regime der Zweigeschlechtlichkeit werden Körper anhand bestimmter Merkmale in zwei Gruppen kategorisiert und deren Verhältnis zueinander normiert. Unterschiedliche Arbeiten werden diesen beiden Kategorien fast willkürlich zugewiesen, unterschiedlich gewertschätzt und diese Zuweisung naturalisiert. Alle glauben:
Es gibt Mann und Frau. Heterosexualität ist die Norm. Männlichkeit bildet das Negativ der Stereotype über Weiblichkeit und Homosexualität ab. Männlich sein bedeutet also u.a. stark, unabhängig, souverän, vernünftig, aktiv, dominant und unverletzlich zu sein. Und obwohl alle glauben, dieser Zustand sei die „natürliche“ Ordnung, wurden und werden diese Verhältnisse erst durch die ineinander verschränkten gesellschaftlichen Machtverhältnisse hervorgebracht.
Queeren Kämpfen ist es zu verdanken, dass sich an einigen wenigen Orten Männlichkeitsbilder zumindest so weit gelockert haben, dass männliche Homosexualität nicht mehr als Gefahr für die eigene Männlichkeit angesehen wird. Der Glaube an die natürliche Existenz und die gegenseitige Ausschließlichkeit von Männlichkeit und Weiblichkeit bleiben aber in vielen Köpfen erhalten. Denn „[a]uch bei einer Pluralisierung von Männlichkeiten bleibt die Abgrenzung zu Weiblichkeiten grundlegend für eine inhaltliche Fassung von Männlichkeit, so abwegig oder plausibel sie auch scheinen mag.“[7] Alternative Männlichkeitsangebote verbleiben also in der binär-hierarchischen Matrix und die Identifikation mit Männlichkeit geht nach wie vor mit einem Ausschluss – und damit automatisch auch mit einer Hierarchisierung – von Weiblichkeit einher.
Als Beweise für die Geschlechterdifferenz werden, wie so oft, biologische Essenzialismen oder Sozialdeterminismen bemüht. Doch kein Körperteil, kein Hormonspiegel machen einen Körper zu einem geschlechtlichen Körper. Sie werden erst zu geschlechtlichen Körpern gemacht. Macht macht Geschlecht, nicht „die Natur“.
Obwohl die vorherrschenden Machtverhältnisse enormen Einfluss auf psychische Strukturierungen, bewusste wie unbewusste Überzeugungen, Wünsche, Begehren, Körper- und Selbstverhältnisse und Ängste uvm. – also auf unsere Konstitution als Subjekte – haben, sind wir nicht reine Effekte dieser Machtverhältnisse. Isabel Lorey beschreibt das folgendermaßen:
„Ich spreche von Subjektivierungs- und Subjektwerdungspraktiken, weil Subjekte nicht nur subjektiviert sind, im Sinne von: Den Verhältnissen unterworfen. Subjekte bringen diese Verhältnisse und dadurch sich selbst als Subjekte auch mit hervor. In diesem Sinne möchte ich neben dem Begriff der Subjektivierung hinsichtlich der Konstitution von Subjekten auch von Subjektwerdung sprechen. Dieser Begriff soll die prozessuale, beständige Arbeit an sich, um zum Subjekt zu werden, bezeichnen“[8]
Das bedeutet auch, „dass wir obwohl [wir] durch die Verhältnisse konstituiert sind, die wir verändern wollen, die Möglichkeit zur Erfindung und Kreation anderer, neuer Weisen der Subjektwerdung wie auch der Subjektivierung haben, gerade weil wir diese immer wieder mithervorbringen.“[9] Aber dazu später mehr.
Wie kritisch ist „kritische“ Männlichkeit?
Zunächst möchte ich nochmal zur Frage zurückkehren, was zu tun ist.
Auf die Feststellung: „Es gibt doch Männer. Was sollen wir mit denen machen?“ folgt oft die Antwort: „Wir sollten die Männer da abholen, wo sie sind.“
Diese pragmatischen Ansätze „mit dem zu arbeiten, was da ist“, sind gut gemeint und nachvollziehbar. Doch meist schaffen sie es nicht, die grundlegenden Annahmen und Dynamiken zu thematisieren, geschweige denn diese zu untergraben. Einige dieser Grundannahmen, durch welche unsere Geschlechterordnung konstituiert ist, sind: Von Natur aus gibt es (nur) Männer und Frauen. Frauen und Männer sind grundlegend anders. Männer sind besser als Frauen. Männer und Frauen begehren natürlicherweise einander. Wenn „kritische“ Männlichkeitsarbeit es schafft, eine oder zwei dieser Annahmen herauszufordern, so scheitern sie meist schon an der nächsten. Inhärente Dynamiken von performierter Männlichkeit sind ein weiteres großes Problem dieser Reformversuche [10]: Binäre, geschlossene Männergruppen, konfliktscheues, kumpeliges Gruppenklima, linke Dudes, die durch die Teilnahme an einer kritischen Männerrunde ihre Beschäftigung mit Feminismus abhaken, Keksfeministen, wohlig warme/feucht fröhliche (Cis-)Männerrunden, die im Selbstmitleid steckenbleiben oder die emotionale Arbeit wieder an nahstehende FLINTAs auslagern, sind nur einige Beispiele dafür. Kritische Auseinandersetzung mit geschlechtlicher, besonders männlicher, Sozialisierung ist unbedingt notwendig, aber eine kritische Männlichkeitsarbeit, die verspricht, dass die Männer Männer bleiben können, führt an der Sache vorbei.
So scheint es gar, als dass diese alternativen Männlichkeiten das Ergebnis von Einverleibungen feministischer Kritiken an Männlichkeit und patriarchalen Strukturen sind. Diese Einverleibungen dienen aber am Ende nur einer Stärkung und Aufrechterhaltung der herrschenden binären Geschlechterordnung.
Schon allein aus diesem Grund ist eine kritische Auseinandersetzung, Reflexion, Arbeit an und mit Männlichkeit, die nicht unbedingt auf das Ziel der Überwindung von Männlichkeit und der Ideologie der natürlichen Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität hinarbeitet, nicht Lösung, sondern Teil des Problems.
Die Begriffe Männlichkeit, männlich und Mann sind historisch und durch ihre innere Relationalität mit Weiblichkeit immer mit einem binär strukturierten, androzentrischen und gewaltvollen Machtverhältnis verbunden. Kein „positives“ Adjektiv verändert etwas an dieser Tatsache. Und weil die Identifikation mit und der Bezug auf Männlichkeit in unserer Gesellschaft relative.[11] Macht und Privilegien mit sich bringen, die auf Ausschluss und Unterdrückung anderer beruhen, verstehe ich nicht, wie sich konfliktfrei positiv auf Männlichkeit bezogen werden könnte.
Jenseits von männlich und hetero
Anstatt neue Männlichkeitsideale mit sozial verträglichen Inhalten zu konstruieren und diesen so gut wie möglich zu folgen, braucht es eine Abkehr von Männlichkeit als Geschlechtsidentität und gesellschaftlichem Ideal. Wie das geht, weiß ich selbst nicht genau. Aber ich weiß, dass diese Abkehr ein Aufbruch ins Ungewisse ist, ein Prozess ohne vorbestimmtes Ende. Für diese Abkehr gibt es leider keine einfache Anleitung. Zum einen, weil geschlechtliche Sozialisation kein einförmiger Prozess ist, der bei allen zum selben Ergebnis führt. Andererseits, weil geschlechtliche Subjektivierung niemals getrennt von anderen Machtverhältnissen passiert und gedacht werden kann. Deshalb kann auch nicht isoliert wirksam dagegen vorgegangen werden.
Es gibt nicht die Wahrheit oder das Wissen über Geschlechtlichkeit, welches ich hier mit euch teilen könnte. Was ich tun kann, ist, meine Gedanken dazu zu teilen, was es bedeuten könnte zu versuchen Subjektwerdung als immerwährenden, kreativen, überraschenden, lustvollen und nichtlinearen Prozess mehr selbst in die Hand zu nehmen. Diese Zeilen sind als loses Netz von Denkanstößen und Anknüpfungspunkten zu verstehen und möchten nicht, so wie kein Netz das möchte, nach ihren Lücken und Leerstellen beurteilt werden.
Neben den bereits genannten wichtigen Forderungen einer kritischen Auseinandersetzung mit Männlichkeit und geschlechtlicher Sozialisation sollten wir Subjektwerdung selbst bewusster gestalten, die Verhältnisse, in denen wir subjektiviert wurden und werden, verändern, durch das Zurückweisen von Anforderungen und Privilegien die herrschenden Anerkennungsnormen verraten, binäre Genderperformances verlernen, dissidieren.
Mögliche Ansatzpunkte könnten sein:
Einvernehmlichkeit als Bedingung der Möglichkeit von sexuellem Kontakt erlernen und verinnerlichen; Begehren dezentrieren; Sex queeren[12]; Verantwortung über die eigene Fruchtbarkeit (z.B. thermische Verhütung/siehe Text im Heft) und über Übertragungsrisiken von sexuell-übertragbare Krankheiten (z.B. HPV Impfung) übernehmen; Kosten, die aufgrund unterschiedlicher Körper, Bedürfnisse und Notwendigkeiten in Bezug auf geschlechtliche, sexuelle und reproduktive Gesundheit und Selbstbestimmung (z.B. Verhütung, Menstruationsprodukte, Hormone, HPV Impfung, STD-Tests etc.) entstehen, in solidarischen Netzen teilen; sich queer-feministisch organisieren; geschlechtlich zugewiesene Arbeitsteilung (z.B. Care-Arbeit, Beziehungsarbeit, emotionale Arbeit) reflektieren, aufbrechen und neu verhandeln.
Begriffe, die herrschaftsförmige Differenz markieren, verlernen; neue Worte für Körper, Körperteile und Körperpraktiken, neue Worte für Differenz und Gleichartigkeit erfinden; Namen und Pronomen ändern.
Männerräume und -runden aufbrechen; internalisierte Misogynie und Heterosexismen konfrontieren; lernen, Verantwortung für die eigenen Gefühle zu übernehmen; in queere, kritische Therapie gehen; jegliche Überlegenheitsgefühle verlernen; Abhängigkeit und Verletzlichkeit als menschliche Grundkonstitutionen anerkennen; die als wahr geglaubten Geschlechtsidentitäten als performierte und diskursiv hervorgebrachte anerkennen; es wagen, die inneren Wahrheiten des herrschenden heterosexuellen Regimes der binären Geschlechterdifferenz zu leugnen.
Identitätsdiskurse, die Kohärenz und Essenz verlangen, durchkreuzen; Diskurse über Natürlichkeit von Geschlecht und Sexualität verneinen und bekämpfen; den eigenen Ausdruck veruneindeutigen.
Was es für eine nachhaltige Veränderung braucht, sind ein Wille zur Veränderung und ein Verständnis darüber, dass Männlichkeit an sich ein Problem ist. Aber es braucht auch Räume, in denen mensch nicht mehr zum Mann gemacht wird und nicht mehr männlich sein muss.
Bis dahin: Hört auf Männlichkeit reformieren oder retten zu wollen.
[1] https://kritische-maennlichkeit.de/
[2] https://open.spotify.com/episode/17qWyAw691z7RFp1xFqXTg?si=9ztdPCJ2Qa6DIpLRswAaZw&dl_branch=1
[3] https://www.maennergesundheit-salzburg.at/caring-masculinities/
[4] https://www.jetzt.de/gender/kritische-maennlichkeit
[5] Was soll „pro“-feministisch überhaupt bedeuten? So als ob sich Männer qua Identität bestenfalls solidarisch und unterstützend „von außen“ zu feministischen Themen verhalten könnten. So als ob Feminismus ein Identitätsmerkmal sei und keine Praxis. Diese Bezeichnung macht feministische Praxis wieder zu einer FLINTA* (Frauen, Lesben, inter, nicht-binär, agender Personen) Sache.
[6] Diese Ausführungen beziehen sich auf den globalen Norden. Geschlechterideale und -verhältnisse unterscheiden sich an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeitpunkten und sind somit nicht überzeitlich und universell gültig.
[7] Nina Degele, „Männlichkeiten queeren“, in Unbeschreiblich männlich hg. von Robin Bauer, Josch Hoenes, und Volker Woltersdorff (Hamburg: Männerschwarm Verlag, 2007), S. 29–42 (S.37).
[8] Isabell Lorey, Immer Ärger mit dem Subjekt (Wien: transversal texts, 2017), S. 215.
[9]Lorey S. 219
[10] https://www.akweb.de/ausgaben/662/manner-und-feminismus-die-geschichte-der-linken-mannerbewegung/
[11] In Abhängigkeit zum Erfolg der Männlichkeitsperformance und anderen Machtverhältnissen.
[12] z.B. Beatriz Preciado, Kontrasexuelles Manifest (Berlin: b-books Verlag, 2004).