Neulich in der Männergruppe
Erfahrungsbericht aus dem Innenleben einer Männergruppe
Wir sind eine kleine Gruppe von weitgehend heterosexuell lebenden cis Männern Ende 30, Anfang 40, die seit vielen Jahren in linken Zusammenhängen organisiert sind. Wir verstehen uns als profeministisch und patriarchatskritisch. In den nächsten Ausgaben dieses Magazins werden wir hier von unseren Gruppenerfahrungen in der kritischen Beschäftigung mit (unserer) Männlichkeit und verinnerlichtem Sexismus schreiben. Angefragt und ermutigt dazu wurden wir durch persönliche Gespräche mit den Machenden dieses Magazins.
Zweck der Kolumne soll es sein, aus dem Innenleben der Gruppe heraus zu berichten. Es wird also in den Beiträgen darum gehen, welche Widersprüche, Fallstricke, Zweifel und Fehler uns in der kritischen Auseinandersetzung mit den Themen und insbesondere im Setting der Gruppe begegnen. Wir wollen mit dieser Kolumne andere Männer anregen und motivieren, sich der Auseinandersetzung mit der eigenen Männlichkeit zu stellen. Wir wollen aufzeigen, dass es sinnvoll ist, sich mit der eigenen Machtposition und den dazugehörigen Verhaltensweisen auseinanderzusetzen. Und dass es auch gut tun kann, den Menschen um uns herum, aber auch direkt uns selbst.
Anlass für unsere ersten Treffen war, dass die Frauen* in unserer gemischtgeschlechtlichen (z.T. ehemaligen) Polit-Gruppe eine Auseinandersetzung mit Sexismus und männlichem Dominanzverhalten einforderten. Wir selbst als Männer kamen also nicht eigeninitiativ auf die Idee, die Geschlechterverhältnisse in der Polit-Gruppe zu bearbeiten. Ein Muster, das sich wiederholt: Die Frage, ob und in welcher Form wir das Schreiben dieser Kolumne mit eben jenen Frauen* absprechen sollten, haben wir viel zu spät und erst aufgrund der kritischen Nachfrage einer feministischen Freundin diskutiert. Mit dieser fehlenden Initiative stehen wir nicht alleine: Zumindest in unserem Umfeld können wir nicht erkennen, dass eine irgendwie selbstorganisierte Form der Selbstreflexion von Männlichkeit und Sexismus eine sonderlich verbreitete Praxis wäre. Selbst wenn es zu solchen Initiativen kam, sind sie häufig schnell wieder im Sande verlaufen. Auch bei uns muss sich eine Stetigkeit erst noch erweisen.
Geschlechtergetrennte Plena boten anfangs den Rahmen für unsere Treffen, später trafen wir uns proaktiv. Die Treffen laufen nun seit knapp 2 Jahren, in derzeitiger Zusammensetzung. Wir treffen uns regelmäßig und zurzeit ungefähr einmal im Monat für ca. 2 Stunden. Die Atmosphäre ist geprägt von Offenheit für mitgebrachte Themen und Wertschätzung im gegenseitigen Umgang. Unsere Haltung ist kritisch-solidarisch: grundsätzlich einander zugewandt, jedoch kritisch in der Betrachtung von Gedanken, Gefühlen und Verhalten, und immer auch selbstkritisch. Anders ist eine Auseinandersetzung für uns nicht/kaum möglich. Es braucht dabei eine Beziehungsebene auf deren Grundlage wir uns offen und ehrlich mit unseren Sexismen auseinandersetzen können. Das soll nicht heißen, dass wir best friends sind, aber ein persönlicher, vertrauter Umgang ist für uns wichtig. Unterstützung und Kritik zur Eigen- und Fremdreflexion sind Ziel der Gruppe.
Zu Beginn der Treffen erzählen wir uns in einer Runde, was grad so los ist bei uns, wie es uns geht. Oft benennen wir Begebenheiten, bei denen wir denken, dass wir uns sexistisch verhalten haben, oder bei denen wir für Sexismus kritisiert wurden. Zum Teil ergeben sich daraus Punkte für die Treffen. Darüber hinaus legen wir manchmal auch Themen vorab fest und besprechen einen Text oder ein aktuelles Ereignis. Wir reflektieren unser eigenes Verhaltens und sprechen über Fragen, die sich uns in Bezug auf unsere Beziehungen stellen. Manchmal treffen wir Vereinbarungen für die Zeit zwischen den Treffen, z.B. besonders auf eingeschliffenes sexistisches Verhalten im Alltag, in Beziehungen zu Freund*innen oder Partner*innen zu achten, etwas bewusst zu unterlassen oder aktiv zu tun. Generell merken wir, dass bestimmte Themen, offene Fragen und Konflikte immer wieder auftauchen; das nehmen wir zum Anlass, nochmal vertieft darauf einzugehen.
Die sexuellen Grenzüberschreitungen und Übergriffe in der Berliner linken Szene haben dazu geführt, dass wir beschlossen haben, uns häufiger zu treffen und in einen intensiveren und stetigeren Austausch zu gehen. Zum einen um die Szene-Diskussion für uns zu reflektieren, und auch um über eine sinnvolle und die Wünsche der Betroffenen berücksichtigende Praxis im Umgang mit männlichen Tätern nachzudenken. Zum anderen aber auch hinsichtlich unseres eigenen Verhaltens. Die Berliner Debatte dreht sich um die Taten von drei Männern, die sich vermutlich ebenso wie wir als profeministisch verstanden haben. Hier haben wir einzelne Situationen, aber auch Verhaltensmuster, die uns alle betreffen, besprochen. Manche der recht intimen Themen hatten Einzelne von uns bisher kaum oder gar nicht mit Anderen geteilt. Häufig bestand ein uneingestandenes Wissen um eigene sexistische Muster und Verhaltensweisen. Durch das Aussprechen innerhalb der Gruppe werden diese anders besprochen und kritisiert, als jeder von uns alleine das machen würde und könnte. Wir hoffen, dass sich daraus und durch die anhaltende Beschäftigung und Kritik auch eine Verhaltensänderung entwickelt.
Zudem haben wir Kritik an männlichen Verhaltensweisen, die von Frauen* an uns als Einzelpersonen herangetragen wurde, besprochen. Gerade wenn hier im ersten Moment Gefühle von Abwehr, Empörung, Wut oder Unverständnis auf Seiten der kritisierten Männer aufkamen, versuchen wir im kollektiven Gespräch, durch Rückfragen und Spiegeln mit Formen männlicher Abwehr umzugehen und damit eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der feministischen Kritik zu ermöglichen. Wir erhoffen uns daraus auch einen Entlastungseffekt für Frauen* in unserem Umfeld, da so die männliche Kritik-Abwehr auch von anderen Männern aufgefangen wird.
In der Auseinandersetzung mit der eigenen Verstrickung in Gesellschaft, mit verinnerlichten und selbst angeeigneten Denk- und Verhaltensweisen, kommt es zu zahlreichen offenen Fragen - wie sollte es auch anders sein? Einige der Widersprüche, Fallstricke, Herausforderungen und Dilemmata, mit denen wir umzugehen versuchen, sind aktuell etwa:
- Wie schaffen wir es, zu einer tatsächlichen antipatriarchalen und antisexistischen Solidarität und Praxis zu kommen, die nicht der Herstellung einer positiven profeministischen männlichen Identität dient?
- Wie gehen wir mit aufkommenden Gefühlen von Eigen- und Fremdscham bei erzählten Geschichten, insbesondere bezüglich Sexualität oder problematischen Verhaltensweisen, um? (“Kann ich alles erzählen?” “Will ich alles von den Anderen wissen?")
- Wie begegnen wir der Gefahr der Entwicklung autonomer Männergruppen zu Männerbünden? Insbesondere wenn wir gleichzeitig einen Raum etablieren wollen, in dem auch schambehaftete und sexistische Verhaltensmuster bearbeitet werden können?
- Durch unsere Selbstreflexion alleine werden wir viele Sachen weiterhin nicht checken, weil uns Sensibilität und Perspektiven fehlen. Wie umgehen mit der Notwendigkeit der Andockung an regelmäßige feministische Kritik durch FLINT, ohne feministische Strukturen noch mehr mit (unseren) Männlichkeitsproblemen zu belasten?
- In welchem Verhältnis steht die Reflexion eigener Männlichkeit zur Entwicklung einer pro-feministischen, nach außen gerichteten Praxis durch die Gruppe?
Wir hoffen, auf einige dieser Punkte in den nächsten Ausgaben ausführlicher eingehen zu können.