Virile Vollpfosten #2
Argumente gegen antifeministische Klassiker. Diesmal: "Gendern"
Virile Vollpfosten #2
Argumente gegen antifeministische Klassiker
Vivo
Wortart: Substantiv, maskulin
Aussprache: [ˈviːfo]
Bedeutung: Kurz für ‚viriler Vollpfosten‘. Anhänger eines Männlichkeitsfetischs. Trotz Unterschieden im Detail teilen alle V.s spektrenübergreifend Grundannahmen, die im Kern darauf hinauslaufen, Männer als die zentrale unterdrückte Gruppe unserer Zeit zu definieren.
Beispiel: - Vivos sind eine Kreuzung aus schamlosen Profiopfern, fantasierten Marginalisierten und Knalltüte vor dem Herrn.
Grammatik: Singular: der Vivo, Plural: (die) Vivos
In der vorangegangenen Ausgabe (Boykott Nr. 1) wurde der Auftakt zur Reihe „Virile Vollpfosten – Argumente gegen antifeministische Klassiker“ mit den beiden Vivo-Argumenten „Fast alle tödlichen Arbeitsunfälle treffen Männer“ und „Jungen sind die Bildungsverlierer“ gemacht. Sie wird an dieser Stelle mit einem weiteren antifeministischen Argument und dessen Widerlegung fortgeführt.
„Gendern ist unästhetisch/falsch/totalitär/bringt nichts/…“
[1]
Die Kurzfassung
Vivos haben eine Obsession mit Sprachpolitik und ihre Beiträge zu diesem Thema sind vermutlich deutlich zahlreicher als die aus queerfeministischen Kontexten. Dabei suggerieren sie einerseits, ‚Gender‘ sei eine Sache, mit der manche etwas zu tun haben und andere nicht, und andererseits, ‚Gendern‘ sei eine Tätigkeit, die man nach Lust und Laune praktizieren könne oder eben auch nicht. Ersteres ist ein uralter patriarchaler Trick, der das Männliche als Norm setzt, letzteres ist falsch. Man kann nicht nicht Gendern, sondern lediglich unterschiedlich. Feminist*innen und Queers reagieren oft notgedrungen auf die genderpolizeilichen Interventionen von Vivos, damit der Quatsch nicht unwidersprochen bleibt, würden sich aber gerne wichtigeren Dingen zuwenden.
Die Langfassung
Obwohl selbst in deutschen Nachrichtenredaktionen zunehmend mit einem Glottisschlag gesprochen wird (‚Bäc-ker-in-nen‘)[2], möchte ich entgegen der Wahrnehmung vieler Menschen eine eher negative Bilanz ziehen, was emanzipatorische Fragen und Diskurse rund um geschlechtergerechte Sprache betrifft. Meine Kritik bezieht sich insbesondere auf die Verwendung und das Verständnis des ‚Genderns‘. Im Kern argumentiere ich, dass rechte Framings so erfolgreich gesetzt werden konnten, dass sie selbst teilweise in emanzipatorischen Kreisen übernommen wurden.
Die Theorie des Framings erklärt, wie sich Menschen ihre Alltagserfahrungen begreifbar machen und mit Sinn ausstatten. Dabei wird davon ausgegangen, dass erlebte Ereignisse und Phänomene immer (zumeist unbewusst) in bereits bestehende Deutungssysteme/Frames eingeordnet und innerhalb dieser interpretiert werden. Über Sprache und die jeweils adressierten Frames (von ‚Bevölkerungsexplosion‘ über ‚Schwangerschaftsabbruch‘ und ‚Genderismus‘ bis hin zu ‚Überfremdung‘) können Assoziationen geweckt, Meinungen gelenkt und Handlungen bestimmt werden.
Es soll hier weniger um eine Begründung gehen, warum es sinnvoll ist, geschlechtergerecht zu sprechen und zu schreiben. Die affektiv begründeten Interventionen von Vivos (Lesbarkeit, Ästhetik, kompliziert, grammatikalisch falsch, Screenreader versagen, war schon immer so, bringt keine Verbesserungen für Frauen, geht an den wirklichen Problemen vorbei, Willkür, Norm, Vereinheitlichung, Elfenbeinturm, Narzissmus, hat nichts mit Biologie zu tun, Bevormundung, Zwang, Staatsideologie, dogmatisch, undemokratisch, 1984, totalitär, Umerziehung, PC, kultureller Marxismus, chinesische Kulturrevolution, …) lösen bei mir ein Gefühl zwischen Lachen und Weinen aus; Lachen, weil die Struktur der Argumentation so dumm wie langweilig ist; Weinen, weil sich immer wieder viele Menschen affektiv von derartigen Pseudoargumenten erreichen lassen, die an anderer Stelle vielfach widerlegt wurden.
Es ist Vivos meines Erachtens in größeren Teilen der deutschen Gesellschaft gelungen, den Begriff ‚Gender‘ zu besetzen und so zu tun, als sei ‚Gender‘ ein Ding, eine Sache, mit der manche etwas zu tun haben und andere nicht, und analog dazu als sei ‚Gendern‘ eine Tätigkeit, die man nach Lust und Laune praktizieren könne oder eben auch nicht. Die derzeit neueste Ausgeburt dessen ist der Begriff ‚Gendersprache‘.
Dem ist entgegen zu halten, dass Sprache schon immer gegendert ist – jede Sprache ist ‚Gendersprache‘ (wenn man diesen eher fragwürdigen Begriff benutzen möchte).
Wer generisches Maskulinum (‚Bäcker‘) schreibt, gendert.
Wer generisches Femininum (‚Bäckerinnen‘) schreibt, gendert. #MännerSindMitgemeint
Wer mit Sternchen (‚Bäcker*innen‘), Unterstrich (‚Bäcker_innen‘), Doppelpunkt (‚Bäcker:innen‘), großem I (‚BäckerInnen‘), Schrägstrich (‚Bäcker/inn/en‘) oder Beidnennung (‚Bäckerinnen und Bäcker‘) schreibt, gendert.
Zu sagen, ein Text sei nicht bzw. jetzt ‚gegendert‘, ist immer falsch. Man kann nicht nicht ‚Gendern‘, das ist unmöglich; zumindest, solange ‚Gender‘ eine gesellschaftliche Bedeutung hat. Die Frage ist demnach nicht, ob man gendert, sondern lediglich wie.[3]
So zu tun, als hätten die einen etwas mit Gender/Geschlecht zu tun und die anderen nicht, ist ein alter, patriarchaler Trick, der das Männliche als die Norm setzt. #gähn Vivos haben dabei diese Macht der Norm(alität) im Rücken, stellen sich selbst als gottgegebene Natur dar und alles andere als Abweichung. Dabei ist das generische Maskulinum der feuchte Traum von Vivos und sichert männliche Macht und Souveränitätsvorstellungen ab, eben weil es nicht generisch (also allgemeingültig), sondern partikular ist und lediglich eine ganz bestimmte Gruppe meint, nämlich Männer.
Gender ist schon immer da. Von daher kann man nicht für oder gegen ‚Gender‘ sein.
Was man infrage stellen kann, ist die Bedeutung von Geschlecht bzw. Gender im Allgemeinen. In einer Gesellschaft, in der Geschlecht keine Bedeutung mehr hat, wäre die zuvor getroffene Aussage („Gender ist schon immer da“) falsch. Das wäre die Apokalypse für Vivos und von daher kämpfen diese mit Zähnen und Klauen für Gender, aber eben für ein ganz bestimmtes, sehr rigide verstandenes und eng gefasstes Gender. #DennSieWissen(Nicht)WasSieTun
Es gibt ein zweites Framing, das immer wieder von Vivos bemüht wird, das meiner Einschätzung nach nicht ganz so erfolgreich ist wie das Erstgenannte, aber dennoch Wirkung entfaltet: Die Behauptung, es ginge Feminist*innen und Queers nur um Sprache und nicht um die ‚wirklich wichtigen‘ Dinge.
Dies ist eine starke Verengung und verfälschende Darstellung feministischer und queerer Anliegen. Natürlich geht es nicht nur um Sprache, sondern auch um alle anderen Fragen, die für ein gutes Leben für alle Menschen weltweit von Bedeutung sind. Das kann die Überwindung des Kapitalismus, die dekoloniale Abwicklung des globalen Nordens, eine gerechte Verteilung von Care-Arbeiten oder disability justice sein (zumindest den linken Feminist*innen und Queers geht es darum). Und all das hängt auch mit Sprache zusammen. #It‘sComplex
Diese Behauptung ist im Übrigen ein gewichtiger Grund dafür, warum eine ganze Reihe von feministisch bewegten Menschen überhaupt gar nicht mehr über das Themenfeld Sprache und Geschlecht sprechen bzw. schreiben möchten.
Faktisch handelt es sich bei diesem Manöver von Vivos um eine grandiose Projektion einerseits und ein vergleichsweise erfolgreiches Dethematisieren der eigenen Anliegen andererseits. Vivos haben nämlich sehr genau verstanden, dass Sprache einen erheblichen Einfluss auf uns als Menschen und Gesellschaft hat. Daher kommen ihre Besessenheit mit dem Thema und ihr verbissener Kampf. Insbesondere die Neue Rechte betreibt im Rahmen ihrer Metapolitik fast nichts anderes, als Framings für faschistische Politik zu erfinden und diese im Rahmen einer langfristigen Strategie diskurspolitisch zu etablieren.
Dies erklärt, warum die genannten Kreise immer wieder beeindruckend viel Energie mobilisieren und den Genderstern als ihr ganz eigenes Stalingrad begreifen. Ihnen geht es darum, feste Grenzen zu errichten, im physisch-materiellen Sinne wie auch im symbolisch-linguistischem Bereich. Dazu gehört auch die autoritäre Kontrolle von Sprache. Den rechten Kulturkrieger(Inne)n geht es um die kulturelle Hegemonie, und dafür spielen sie Gender-Polizei. Denn wer wüsste besser als die Neue Rechte, dass aus Worten Brandsätze werden können?
So kann man nur müde lächeln, wenn Vivos verlautbaren, dass mit einem Sternchen ____________ [Auswahl: die echten Probleme nicht angegangen würden / keiner einzigen Frau geholfen sei / nicht eine Frau auf einem Vorstandsposten landet / keine Frau einen Euro mehr in der Tasche haben / nicht eine Vergewaltigung weniger stattfindet].
Dass Vivos in ihrem beschämenden Nichtwissen(wollen) das mit Transgeschlechtlichkeit, Nichtbinarität, Intergeschlechtlichkeit und Frauen nicht verstanden haben (oder bewusst verdrehen), wird an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt. #AberEsIstPeinlich
Es stimmt, dass ‚Gendersprache‘ autoritär von oben aufgezwungen wird.
Mir passiert dies seit mittlerweile über einem viertel Jahrhundert. Bereits in der Schule wurde bei meinen Texten oft eine geschlechtergerechte Schreibweise verhindert, ich bekam dafür Punktabzug.
Bis heute versuchen Verlagshäuser und Medienschaffende meine Texte an ein generisches Maskulinum anzupassen. Immer wieder – das letzte Mal vor einem Jahr (2020) bei einem Text zum Thema Intergeschlechtlichkeit! #KeinWitz
Ich bin kein bedauerlicher Einzelfall, sondern ich kenne kaum jemanden, der*die nicht ähnliche Geschichten erzählen kann.
Aber erzählt wird von Vivos immer und immer wieder das eine Mal, wo angeblich irgendwo vorgeschrieben wurde, dass jetzt – uiuiui, jetzt kommt’s – mal mit großem ‘I’ oder Sternchen geschrieben werden musste.
Um nicht missverstanden zu werden: Wenn das tatsächlich stimmt – Zweifel sind angebracht – ist das meines Erachtens kritikwürdig. Sich diese Einzelfälle – hier stimmt der Begriff tatsächlich mal – selektiv herauszugreifen und über die ganz reale tausend- und millionenfach stattfindende autoritäre Bevormundung mit dem generischen Maskulinum zu schweigen, ist nicht nur unredlich, sondern Teil einer rechten und sexistischen wie trans- und interdiskriminierenden Strategie. Diejenigen, die Sprache und Gesellschaft autoritär kontrollieren wollen, werfen es anderen vor und lenken so von ihren eigenen politischen Interessen ab.
Fazit
Diejenigen, die das Framing von ‚Gendern‘ als einer Tätigkeit, die man machen oder bleiben lassen könne, übernehmen, führen – teilweise ungewollt – die Trennung und Hierarchisierung in Norm(alität) (= cis Männer) und Abweichung (alle anderen Geschlechter) fort. #nichtcool
Dass Vivos das nicht verstehen (wollen) – geschenkt. Auch wenn man ihnen von Zeit zu Zeit sagen kann, dass sie mit ihrer Gender-Scheiße endlich mal aufhören sollen. Alle anderen sollten sich diesem Unsinn verweigern. Wenn ‚Gendern‘ als Begriff genutzt wird, dann für alle Formen des Genderns, also auch das generische Maskulinum.
Generell scheint mir das aber kein tauglicher Begriff zu sein und ich plädiere für andere Begriffe. ‚Geschlechtergerechte(re) Sprache‘ könnte einer sein, es gibt sicherlich weitere.[4] Dabei geht es nie um begriffliche Festlegungen, sondern um eine Auseinandersetzung mit dem Wechselverhältnis von Sprache und sozialer Wirklichkeit in dem Bemühen, auch in der und durch Sprache zu Gerechtigkeit, der Abbildung realexistierender Vielfalt und der Erweiterung von Vorstellungswelten beizutragen.
Ansonsten ist das beste Mittel gegen Antifeminismus queere und feministische Politik – in der Ökonomie, der Forschung, der Wissenschaft, dem sozialen Bereich, der Architektur, den Parlamenten, auf der Straße, [… lange Aufzählung …] und nicht zuletzt auch in der Sprache. 😉
[1] Ich danke René_ Rain Hornstein, Mart und fink für die wertvollen Anmerkungen.
[2] Ohne Glottisschlag würde es ‚Bäc-ke-rin-nen‘ heißen. Der Glottisschlag ist in der deutschen Sprache keineswegs neu (Osterei, beinhalten, umarmen, Erdbeereis, …) und muss von daher auch nicht ‚extra‘ erlernt werden.
[3] Substantivierte Partizipien bzw. sogenannte ‚Verlaufsformen‘ – ‚Backende‘ – rufen keine binär männliche oder weibliche Form im Wort auf, sondern eine Tätigkeit – übers Geschlecht erfährt mensch nichts. Von daher werden sie von manchen Menschen als Form des Nicht-Genderns verstanden oder auch als Möglichkeit, Texte und Sprache zu entgendern. Jedoch zeigt Katrin Kusterle in ihrer Studie Die Macht von Sprachformen von 2011 auf, dass auch Verlaufsformen männliche Assoziationen auslösen.
[4] Weshalb ich ‚Geschlecht‘ für einen besseren Begriff als ‚Gender‘ halte, würde hier zu weit führen, wird aber sicherlich noch mal aufgegriffen.