Wie übernehme ich emotionale Arbeit?

Die Streikankündigung der Gewerkschaft der Emotionsarbeitenden (GEA) - Inspiration

Gewerkschaft der Emotionsarbeitenden

Erschienen in: Ausgabe 01-2021
Rubriken: Beziehungen

Vom 8. Februar bis 8. März hatte die Gewerkschaft der Emotionsarbeitenden (Gea) zum Streik aufgerufen. Fürsorgearbeit ist Arbeit und muss besser verteilt werden!

Auch der Text „Können wir jetzt über was anderes reden? Beziehungsarbeit mit cis Männern“ in Ausgabe 01/2021 beschreibt, dass es häufig Frauen und Trans* sind, die diese Arbeit übernehmen. Das muss sich ändern. Aber wie? Die Idee ist, Männer* zu bestreiken, um Fürsorgearbeit umzuverteilen.

Die GEA hat in ihrem Streikaufruf ein Beispiel für einen Brief beigefügt, den die Streikenden nutzen können, um den Bestreikten zu verdeutlichen, worum es geht. Die Beispiele und Fragen darin sind eine super Anregung, um das eigene Verhalten zu reflektieren und möglicherweise mehr emotionale Arbeit und Fürsorge in nahen Beziehungen zu übernehmen.

Der Streik ist vorbei, der Struggle geht weiter!

Streikankündigung

Lieber …,

vielleicht hast du schon davon gehört, vielleicht auch nicht: vor Kurzem hat sich die Gewerkschaft der Emotionsarbeitenden gegründet und ruft zum Bestreiken von Emotionsarbeit (Fürsorgearbeit) auf. Ziel der Streikaktion ist es, ganz konkret Emotionsarbeit zu bestreiken, um sie sichtbar zu machen und ihr den Wert zukommen zu lassen, der ihr zusteht. Dieser Streik beginnt am 8. Februar und endet am 8. März.

Wie du dir vorstellen kannst, werde ich mich an diesem Streik beteiligen. Ich habe mir viele Gedanken gemacht, wie so ein Streik für mich ganz konkret aussehen kann und wen er betreffen soll. In meiner WG bestreiken meine Mitbewohnerin und ich in diesem Zeitraum komplett die Hausarbeit, in meiner Beziehung zu … bin ich schon vor ein paar Wochen in eine Form von Emotionsarbeitsstreik getreten und ich würde sagen, wir befinden uns gerade in Tarifverhandlungen. Deshalb ist meine Wahl auf insgesamt 4 Männer* gefallen, mit denen ich – für mein Gefühl – eine enge Freund:innenschaft habe. Und du bist einer von ihnen!

Warum Du? Weil du mir wichtig bist, ich mich mit dir wohl fühle und du mich schon viele Jahre in meinem Leben begleitest. Weil ich von dir glaube, dass du diesen Streik verstehen kannst und seine Notwendigkeit anerkennst. Weil ich mir wünsche, dass wir dieses Experiment gemeinsam machen und ich neugierig bin, ob und wie sich unsere Freund:innenschaft dadurch vielleicht verändert.

Ganz konkret werde ich folgende Dinge bestreiken, die ich in den vergangenen Jahren (zu) oft übernommen habe und die klassischerweise v.a. von FLINTA getan werden:

  • Mich bei dir melden und dich fragen, ob wir uns sehen können.
  • Dich fragen, wie es dir geht, bevor du mich fragst, wie es mir geht.
  • Die Verantwortung für das Gespräch übernehmen und es aktiv gestalten.
  • Immer wieder nachhaken, wenn du oberflächliche Antworten gibst und sehr konkrete Nachfragen stellen.
  • Dinge von mir aus erzählen, auch wenn du mir keine konkreten Fragen stellst.
  • Unangenehmes ansprechen.
  • Dich um eine Rückmeldung bitten, wenn ich dir von einem Problem erzähle und du dich nicht von selbst dazu äußerst/dich selbst dazu in Beziehung setzt/mitfühlend bist.

Ich will nicht darauf hinaus, dass nur ich diese Dinge normalerweise tue und dass du nichts davon tust. Aber ich tue ALLE diese Dinge SEHR OFT. Ich will auch nicht darauf hinaus, all diese Dinge generell nicht mehr zu tun. Sie sind nämlich ungeheuer wichtig für den Aufbau, die Pflege und Entwicklung von engen Beziehungen. Sie schaffen Verbindung, stellen Verbindlichkeit her und sind ARBEIT. Ich wünsche mir darum einfach, dass du sie in einem ähnlichen Maße tust.

Darüber hinaus wünsche ich mir von dir:

  • dass du über folgende Fragen nachdenkst und mir schreibst oder sagst: 1. was du eigentlich an mir als Person schätzt und magst – warum bist du mit mir befreundet? 2. was konkret du an unserer Freund:innenschaft schätzt – was ist dir an unserer Beziehung wichtig? 3. was dir in unserer Freund:innenschaft vielleicht fehlt – und: wie könnten wir es gemeinsam angehen, diese Leerstelle(n) zu füllen? Die Form ist mir dabei völlig egal – deine Gedanken können auf einer Postkarte stehen, in einer SMS oder du erzählst mir davon in einer Sprachnachricht oder einem Treffen.
  • dass du für dich eine Visualisierung machst (z.B. in Form einer Mindmap), in der du die Menschen aus deinem nahen Umfeld und deine Beziehung zu ihnen darstellst (z.B. Familie, Freund:innen, Liebesbeziehung(en), Arbeitskolleg:innen, Nachbar:innen). Was schätzt du an ihnen, wie hat sich eure Beziehung entwickelt und warum? Welche Themen besprichst du mit ihnen und welche nicht?
  • Schau dir jetzt an, mit wem du Dinge oder Probleme teilst, die dir emotional nahe gehen. Sind das überwiegend FLINTA, die die Emotionsarbeit mit dir/für dich machen? Wenn dem so ist, führe mit mindestens 2 Männern* aus deinem nahen Umfeld ein Gespräch über Dinge, die dir emotional nahe gehen. Und mache selbst die Emotionsarbeit mit diesen/für diese Männer*.

Klingt viel verlangt? Ja. Das hat nichts mit Streik zu tun? Ja, vielleicht. Solltest du dennoch mitmachen? Ja, auf jeden Fall. Wirst du so mehr über deine verschiedenen Beziehungen – auch die mit mir – lernen? Mit Sicherheit. Wir können diesen Monat als Zeitraum unserer Freund:innenschaft betrachten, in dem diese Punkte im Fokus stehen und vielleicht wirken sie auch darüber hinaus?

Deine streikende …